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Schwarzbuch

von K.P. Krause : Gedanken am 9. November 2008 zum Fall der Mauer vor 19 Jahren


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mit Kommentare von G. Kleindienst

 

Vier schwere Fehler: die zu schnelle Währungsunion, der falsche Umtauschkurs, die nicht rechtmäßige Altschuldenregelung, der Ausschluß der „Alteigentümer“

 von Klaus Peter Krause

 

Wann gibt es das schon – eine friedliche Revolution, eine friedliche Umwälzung, eine durch das Volk, durch die Bürger erzwungene? Am 9. November 1989 in Deutschland, im damals anderen Teil Deutschlands, hat es sie gegeben: Die Mauer in Berlin und die übrige innerdeutsche Grenze öffneten sich, wurden geradezu überrannt, Ost- und Westdeutsche fielen sich jubelnd und selig in die Arme.

 Heute, am 9. November 2008, sind es schon lange neunzehn Jahre her. Was ist in dieser Zeit im einstigen DDR-Gebiet, in den heutigen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen, nicht alles passiert, was an Aufbau geleistet worden. Immerhin mußten nicht nur jene Lücken wieder aufgefüllt werden, die Kriegszerstörungen und Reparationen an die Sowjetunion gerissen hatten, sondern es war auch alles das wieder herzurichten, was fünfundvierzig Jahre lang zusätzlich der Sozialismus ruiniert hatte, alles Heruntergekommene, Verfallene, Verwirtschaftete, also Gebäude, Fabriken, Straßen, die ganze Infrastruktur. Und natürlich die Wirtschaft.

Wenn man weiß, wie die DDR 1990 aussah und wie es in den fünf neuen Bundesländern heute aussieht, dann ist dort, zumindest dem Augenschein nach, vieles in der Tat aufgeblüht, dann ist der Zustand einst und der Zustand jetzt ein Unterschied wie Tag und Nacht. Insofern kann man nicht sagen, im heutigen Nordost- und einstigen Mitteldeutschland hätte sich nichts getan. Dabei wissen wir, daß dieses äußerliche Blühen mit höchsten Subventionen erkauft wurde und noch immer erkauft wird. Wir wissen ebenfalls, daß die meisten DDR-Betriebe zusammengebrochen sind, daß die Arbeitslosigkeit unerträglich hoch ist, daß immer mehr junge Menschen den Nordosten in Richtung Westen und Süden verlassen haben, daß sich Landstriche von Menschen geradezu entleeren.

 Aber längst vergessen oder verdrängt ist, daß dieser Niedergang und der Beginn der hohen Arbeitslosigkeit in Nordostdeutschland mit der deutsch-deutschen Währungsunion ausgelöst worden ist. Die DDR-Bürger hatten die D-Mark sofort gewollt. Die geflügelte Drohung von damals klingt den Zeitgenossen noch in den Ohren: „Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, kommen wir zur D-Mark.“ Aber nicht so sehr dieser Wunsch nach der „D-Mark sofort“ hat das Desaster ausgelöst, sondern das (nur scheinbar großzügige) Umtauschverhältnis von DDR-Mark in D-Mark, das bei weitem nicht den Produktivitäts- und Kaufkraftunterschieden entsprach.

Auch aus dem Ardenne-Forschungsinstitut in Dresden war gewarnt worden: Mit dem Beginn der Währungsunion werde es in der DDR einen „Flächenbrand an Konkursen“ geben. Die Wirtschaftslage in den DDR-Betrieben sei viel schlimmer als allgemein geschildert. Es werde nach der Währungsunion viel dramatischer werden, als man es in der Bundesrepublik vermute. Westdeutsche Ökonomen hatten ebenfalls gewarnt. Unter den DDR-Betriebsleitern hielt man die unvermittelte Währungsunion ohnehin für ein gewaltiges Unglück, das schon einem Todesurteil nahekam. Die Technik ihrer Betriebe war veraltet, vieles verrottet. Das machte mehr Arbeitskräfte nötig als für neueste Technik. Darüber hinaus wurden viele, obwohl nicht benötigt, mit durchgeschleppt, um die sonst sichtbaren Arbeitslosen zu verstecken. Entsprechend gering fiel das Produktionsergebnis je Arbeitseinheit aus, die Leistungskraft der Arbeit, die Arbeitsproduktivität. Darum auch bekamen die Beschäftigten ein deutlich geringeres Arbeitsentgelt als die im Westen Deutschlands.

 Eine vergleichsweise geringe Arbeitsproduktivität kann ökonomisch Sinn machen, wenn es viele Arbeitskräfte gibt, die man beschäftigen muß, und wenn Kapitalgüter (wie Maschinen) knapp und teuer sind, die Arbeitskräfte aber vergleichsweise billig. In einen solchen Zustand haben staatliche Kommandowirtschaft und weitgehende Abschottung der DDR-Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz die Betriebe hineingetrieben. Doch war er nicht länger zu halten. Die offenen Grenzen machten nun das Abwandern der Beschäftigten dorthin möglich, wo ihre Arbeit, weil produktiver eingesetzt, besser bezahlt wurde.

Die Alternative zur Währungsunion wäre gewesen, die DDR-Mark noch einige Zeit bestehen zu lassen, sie aber frei konvertibel zu machen und im übrigen die nötigen Reformen vorzunehmen. Dann hätte sich für die Ostmark ein freier Wechselkurs gebildet, der das hohe Produktivitätsgefälle zwischen DDR und westlicher Wirtschaft ausgeglichen hätte wie eine Schleuse. Die Schleuse des freien Wechselkurses hält einen wirtschaftlich starken Raum davon ab, einen wirtschaftlich (noch) schwachen zu überfluten und dessen Betriebe, weil diesem Wettbewerb nicht gewachsen, fortzureißen.

 Aber aus dem Druck der politischen Umstände haben sich die schnelle Währungsunion und bald darauf das Aufgehen der DDR in die Bundesrepublik als unumgänglich erwiesen. Durch den damit verbundenen Verzicht auf den Schutzmechanismus eines Wechselkurses war der schnelle Zusammenbruch der DDR-Betriebe unaufhaltsam geworden. Ebenso die Entlassung so vieler in die Arbeitslosigkeit oder die Abwanderung gerade der Tüchtigen und der Jungen in den Westen.

 Diesen Zusammenhang haben die ostdeutschen Landsleute damals, was man verstehen muß, nicht gekannt oder erkannt. Und heute wird den meisten wohl ebenfalls nicht klar sein, daß mit ihrem verständlicherweise schnellen Drang zur D-Mark dieser Teil ihres Unglücks seinen Lauf nahm und noch immer nicht beendet ist. Gleichwohl war die schnelle Einheit richtig, weil die Gunst der Stunde sie politisch förmlich erzwang, herbeigeführt durch den immer offenkundigeren wirtschaftlichen Konkurs der DDR und die (friedliche) Revolution von immer mehr ihrer Bürger. Die Montagsdemonstrationen in Leipzig stehen dafür als Sinnbild.

 Zusätzlich geschwächt wurde die ostdeutsche Wirtschaft durch das (anfangs fiskalisch motivierte) Eintreiben der sogenannten Altschulden. Diese Schulden sind Zwangskredite des DDR-Staates gewesen: an seine Volkseigenen Betriebe (VEB), an seine Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und Volkseigenen Güter (VEG), an seinen Wohnungswirtschaft, an seine Kommunen. Sie waren Bestandteil der staatlichen Plan- und Zwangswirtschaft, wurden zugeteilt, ob man wollte oder nicht. Eigenkapital zu bilden, um nötige und selbstbestimmte Investitionen aus eigener Kraft zu finanzieren, war im Regelfall nicht zugelassen; erwirtschaftete Eigenmittel waren abzuführen. Als „Kredite“ der DDR-Banken flossen sie in irgendeiner von planwirtschaftlicher Willkür bestimmten Höhe zurück. Tatsächlich sind es also nur Scheinkredite gewesen.

Der Zwangs- und Scheincharakter dieser Kredite ist offenkundig. Trotzdem wurden sie im Einigungsvertrag so behandelt als seien es echte Kredite gewesen, wie sie in einer freien Marktwirtschaft üblich sind und als seien sie es auch noch nach dem Zusammenbruch der DDR. Das heißt, sie mußten getilgt und zu Marktsätzen verzinst werden. Diese nicht rechtmäßige Umwandlung der unechten in echte Schulden war für die DDR-Betriebe, die nun in die Marktwirtschaft katapultiert wurden, ein ruinös wirkender Willkürakt und hat zu deren schnellen Untergang ebenfalls beigetragen. Denn ihre völlig veralteten Anlagen stellten so gut wie keinen Gegenwert mehr dar.

Zwar hat es in den Folgejahren Schuldenerlaß und -entlastungen gegeben, aber das anfängliche Unheil mit den Schulden war geschehen – von ihrem zwielichtigen Verkauf an westdeutsche Banken durch den Staat ganz abgesehen. Auch saß nun der staatliche „Erblastentilgungsfonds“ auf diesen Schulden. Mit Steuergeldern bedient er sie. Da diese damit dem Aufbau-Ost entzogen sind, ist auch indirekter Schaden durch die entgangene Nutzung zu konstatieren. Weil also die „Altschulden“ in Wirklichkeit nichts weiter als sozialistische Schulden waren, hätten sie untergehen müssen wie die DDR mit ihrem Sozialismus, dem sie entstammten.

 Nicht minder schlimm ist, daß der deutsche Staat jene Familien, die in der sowjetischen Besatzungszeit (1945 bis 1949) von den damals herrschenden Kommunisten politisch verfolgt, vertrieben, inhaftiert, umgebracht und allen Eigentums beraubt wurden, weiterhin politisch verfolgte und es immer noch tut. Er verweigerte ihnen die Rehabilitierung, gab ihnen das geraubte Eigentum nicht zurück, hinderte sie damit an der Rückkehr und unterband auf diese Weise, daß sie sich am Aufbau des Zerstörten beteiligen konnten. Er verleibte sich den Raub selbst ein und veräußerte ihn meist an Wildfremde – ein politisches Verbrechen an den Menschen und an der Rechtsstaatlichkeit. Im „Wettbewerb“ mit solchen Wildfremden durften die „Alteigentümer“ das ihnen Gehörende und Zustehende dem Fiskus allenfalls abkaufen, was ebenfalls zum Himmel schreit und nur selten gelang, weil es politisch nicht gewollt war.

 So wurde der Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft beim Übergang von Sozialismuswirtschaft zur Marktwirtschaft zwangsläufig beschleunigt und der Aufbau-Ost unnötigerweise erheblich und nachhaltig belastet. Das hatte und hat immer auch noch politische Folgen. Sie schlagen sich nieder im Wahlverhalten der ostdeutschen Bürger samt Wahlverweigerung, im Erstarken der SED-Nachfolgepartei PDS mit Linkspartei und WASG (inzwischen verschmolzen zur „Die Linke“) und von extremen Tendenzen am linken und rechten Rand des politischen Spektrums. Und so hat Deutschland, gemessen am Ergebnis der Bundestagswahl vom Herbst 2005 mit der Großen Koalition als Folge, an aktuellen Umfragen und am politischen Geschehen, nunmehr vor allem deshalb eine linke Mehrheit. Die dafür Hauptverantwortlichen, CDU/CSU und FDP, aber auch die SPD, stehen vor einem Scherbenhaufen ihrer Politik, einer Politik eines unglaublichen Versagens.

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f.d.R., Fettung und Anstrich: Günter Kleindienst, 31275 Lehrte

 

Anmerkung und Kommentar

Auf den Punkt gebracht

 

Klaus Peter Krause hat es auf den Punkt gebracht: Die vier schweren Fehler der Regierung Kohl und seiner Nachfolger sind - so zusammengefaßt - in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit nie so angesprochen worden, wie hier von ihm. Diese Fehler sind die eigentlichen, landauf, landab von den meisten Medien „konsequent“ beschwiegenen Ursachen des „Supergaus Deutsche Einheit“ (Buchtitel des Ost-Korrespondenten der WELT, Uwe Müller). Doch von diesen will „man“ bis heute in Berlin und anderswo nichts wissen, es weiterhin unter dem Teppich halten – auf Kosten der Politiker-Glaubwürdigkeit, der Erstarkung der „LINKEN“ und der Extrem-Rechten, deren Wähler deshalb bis heute nicht so recht wissen, was sie eigentlich tun. Ich bin froh, daß es noch einen so scharfen Fach-Analysten wie Krause (kpk) gibt. Er kennt das Diktum des österreichischen Schriftstellers Polgar: „Die Presse hat die Aufgabe, das Gras zu mähen, das über etwas zu wachsen droht.“ Anderswo tut sie es immer wieder, hierbei nicht!

Günter Kleindienst (Journalist, DJV), 31275 Lehrte