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Der späte Triumph der Stasi-Täter ...... Die Welt * 21-04-08*


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21. April 2008, 14:21 Uhr
Von Uwe Müller
Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende des SED-Regimes: Mit Hilfe der Gerichte gelingt es Tätern von damals immer häufiger, dass ihre Vergehen nicht mehr thematisiert werden dürfen. So wie im Fall eines Spitzels, der eine Ausstellung zur Schließung zwang. Im Umgang mit dem Stasi-Unrecht droht die Justiz zu versagen.
Ex-Stasi-Chef Mielke
Erich Mielke war der letzte Chef der Stasi
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Die Verfolgung der Verbrechen der DDR-Geheimpolizei hat die deutsche Justiz gründlich überfordert. Laut einer Erhebung der Berliner Humboldt-Universität wurden nach 1989 im Zusammenhang mit dem Stasi-Unrecht lediglich 234 Anklagen erhoben und nur 79 Beschuldigte verurteilt. Ins Gefängnis schickten die Richter einen einzigen Täter – einen West-Berliner, der im Auftrag des Ostberliner Repressionsapparates einen Giftmordanschlag auf eine dreiköpfige Familie verübt hatte.
Ex-Stasi-Chef Mielke
Foto: picture-alliance / dpa
Erich Mielke war der letzte Chef der Stasi

Diese Bilanz, die nicht weniger als eine kalte Amnestie für die Stasi-Schergen bedeutet und damit an die gescheiterte juristische Aufarbeitung des NS-Unrechts erinnert, ist weitgehend unbekannt. Dabei stehen erhebliche Mittel zur Erforschung der zweiten deutschen Diktatur und ihren Folgen zur Verfügung. Doch das Unvermögen des Rechtsstaates, der nach dem Mauerfall tausendfach die Machenschaften von Mielkes Ministerium – Bruch des Postgeheimnisses, illegale Überwachung von Wohnungen, Denunziation, Verrat, Freiheitsberaubung, Verschleppung und Totschlag – ungesühnt ließ, wird ganz offenkundig verdrängt.

Fast zwanzig Jahre nach dem Untergang des SED-Regimes deutet sich nun eine Tendenz an, die sich als zweites Versagen der Justiz bezeichnen lässt. Mit Hilfe der Gerichte gelingt es den Tätern von gestern immer häufiger, dass ihre Vergehen heute nicht mehr öffentlich thematisiert werden dürfen. Dabei messen Richter dem Persönlichkeitsschutz regelmäßig eine höhere Bedeutung bei als der grundgesetzlich verbürgten Informationsfreiheit und dem gesamtgesellschaftlichen Interesse an Aufklärung über die Mechanismen totalitärer Herrschaft.

Im Auftrag der Stasi getauft

Davon hat zuletzt Holm Singer profitiert. Sein Name darf nach einer Entscheidung des Landgericht Zwickau von Anfang März im Rahmen der Wanderausstellung „Christliches Handeln in der DDR“ nicht mehr erwähnt werden. Dabei hat Singer der Stasi in herausgehobener Weise gedient. Als IM „Schubert“ spähte der Sachse von 1980 bis 1989 junge Gemeindemitglieder aus, deren Vertrauen er sich mit Heimtücke erschlichen hatte. Im Auftrag der Stasi ließ sich Singer sogar taufen.

Sein Wirken an der „unsichtbaren Front“ führte dazu, dass vier junge Christen wegen „staatsfeindlicher Hetze“ inhaftiert werden konnten. Die Geheimpolizei überhäufte den tüchtigen Agenten geradezu mit Geschenken. Sie spendierte eine Reise zu den Olympischen Spielen in Moskau, besorgte eine zwölfsaitige Westerngitarre sowie einen Trabi-Austauschmotor und gewährte obendrein für eine Wohnungseinrichtung einen Kredit von 8000 DDR-Mark. Um die Herkunft der wertvollen Gaben zu verschleiern, ersann die Stasi ständig neue Legenden.

An diesem Dienstag wird das Landgericht Zwickau, so hat es die Vorsitzende Richterin im Vorfeld angedeutet, das Verbot der Namensnennung wieder aufheben. Ausschlagend für den Sinneswandel dürfte nicht zuletzt die Aufmerksamkeit gewesen sein, die der Fall bundesweit erregt hat. Ausgestanden ist die Angelegenheit damit allerdings keineswegs. Singers Rechtsanwalt, ein Mitglied der Linkspartei, sieht seinen Mandanten an den Pranger gestellt und will die nächste Instanz anrufen.

Ein ähnlich gelagerter Rechtsstreit zeichnet sich in Halle an der Saale ab. Dort läuft am Donnerstag ein Ultimatum ab, das die ehemaligen Stasi-Offiziere Jürgen Stenker und Michael Kommol der Gedenkstätte „Roter Ochse“ gestellt haben. Beide Obristen waren bis 1989 in dem Stasi-Gefängnis in leitender Funktion für die berüchtigte Untersuchungsabteilung IX tätig. Mitarbeiter dieser speziell geschulten Truppe wendeten oft physische und psychische Gewalt an, um Gefangenen in stundenlangen Verhören Geständnisse abzupressen.

Und die Linkspartei ist immer mit am Ball

Stenker und Kommol waren als Vorgesetzte zumindest mit dieser Praxis vertraut. Sie behaupten, im Einklang mit „der Verfassung und Strafprozessordnung der DDR“ gehandelt zu haben. Deshalb wollen sie eine Hinweistafel, auf der ihr Namen vermerkt ist, aus der Gedenkstätte verbannen lassen. Man sei nicht länger gewillt, sich diskriminieren und kriminalisieren zu lassen, heißt es in einem gemeinsamen Manifest, das auch von der Linkspartei verbreitet wird. Gut möglich, dass sich Richter von solchen Argumenten beeindrucken lassen. Unabhängig davon prüft auch Sachsen-Anhalts oberster Datenschützer, ob der Hinweis auf die früheren hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter in der Gedenkstätte bleiben darf.
Erst am Donnerstag vergangener Woche hat das Kammergericht Berlin ein bezeichnendes Urteil gefällt. Ein Gespräch, das der „Focus“ mit dem Schauspieler Ulrich Mühe über die Stasi-Verstrickung seiner früheren Ehefrau Jenny Gröllmann geführt hatte, darf nicht mehr verbreitet werden. Nach der Auffassung des 10. Zivilsenats überschreitet die Veröffentlichung den Rahmen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung. Einem unbefangenen Leser erschließt sich diese Interpretation nicht ohne weiteres.
Überhaupt fragt sich, weshalb nur in Form eines Verdachts über diesen Fall berichtet werden darf. Der Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin kommt in einem Sachverständigengutachten zum Ergebnis, Gröllmann habe zweifelsfrei einen Bund mit der Stasi geschlossen. In einer mehrseitigen Stellungnahme der Birthler-Behörde heißt es, die Schauspielerin habe „wissentlich und willentlich“ mit dem Geheimdienst kooperiert. Doch solche Darstellungen dürfen sich Journalisten nicht zu Eigen machen. Nach herrschender Rechtsprechung bestehen an der IM-Tätigkeit letzte Zweifel, zumal Gröllmann die Vorwürfe trotz einer 500 Seiten umfassenden Akte bestritten hatte.
Die Widersacher, die im Zentrum dieses Konflikts stehen, sind beide längst tot. Dennoch will das Magazin aus dem Burda-Verlag jetzt vom Bundesgerichtshof (BGH) grundsätzlich klären lassen, welche Beweiskraft die schriftliche Hinterlassenschaft der Stasi besitzt. Den Weg nach Karlsruhe haben die Berliner Richter allerdings versperrt. Trotz ausdrücklicher Bitte der unterlegenen Partei ließen sie keine Revision zu. Dagegen muss nun zunächst Beschwerde eingelegt werden.
Die Kosten solcher Prozesse, die ohne teure Fachanwälte kaum mit Aussicht auf Erfolg geführt werden können, erreichen rasch fünfstellige Summen. Kleinere Verlage und klamme Aufarbeitungsinitiativen überfordern solche Beträge. Einstweilige Verfügungen, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, werden deshalb meist widerstandslos hingenommen. Mehr noch, angesichts der finanziellen Risiken wird häufig von vorneherein darauf verzichtet, das zu veröffentlichen, was in den Stasi-Akten steht.

Wenn Anti-Demokraten den Rechtsstaat bemühen

So unterstützt die Justiz zumindest indirekt die Strategie der Täter, die ihr kompromittierendes Treiben in der Diktatur mit einem Tabu belegen und damit zugleich die historische Darstellung der DDR-Geschichte verklären wollen. Selbst wenn die Fakten eindeutig eine Verstrickung belegen, weil persönliche Verpflichtungserklärungen, handgeschriebene Spitzelberichte oder aussagekräftige Kaderakten vorliegen, stellt die Offenlegung von Stasi-Biografien ein kaum überschaubares juristisches Wagnis dar. Der jüngst beurlaubte Magazinchef der „Berliner Zeitung“ drohte Unterlassungs-, Gegendarstellungs-, Widerrufs-, Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüche an, um zu verhindern, dass seine IM-Karriere publik wird. Der Personalchef von Gazprom Germania, der sich gleich zwei Mal als Stasi-Spitzel verpflichtet, versucht mittlerweile in zweiter Instanz, die Berichterstattung über ihn zu unterbinden.
Jene, die in der Diktatur rechtsstaatliche Prinzipien mit Füßen getreten hatten, bemühen in der Demokratie vehement den Rechtsstaat. Das dürfen sie, kein Zweifel. Dass sie sich dabei allerdings zu angeblichen Opfern stilisieren, muss die tatsächlichen Opfer des SED-Regimes ebenso empören wie eine Rechtsprechung, die zunehmend ehemalige Täter begünstigt. Weil Aufarbeitung in der Anonymität nicht funktioniert, dürfe der Verrat nicht geschützt werden, hat Marianne Birthler erst kürzlich in dieser Zeitung betont.
Diese Auffassung hat im Februar 2000 auch das Bundesverfassungsgericht vertreten. Deutschlands oberste Richter berieten damals über eine Beschwerde des „Neuen Forum“, das in seinen Büroräumen in Halle eine IM-Liste mit Klarnamen ausgelegt hatte. Dies war vom BGH verboten worden. Zwar nahmen die Verfassungsrichter den Fall nicht zur Entscheidung an. Doch sie formulierten interessante Leitsätze und rügten den BGH-Spruch als „verfassungsrechtlich nicht unbedenklich.“ (Az: BvR 1582/94)

Hoffnung auf Karlsruhe

Damals stellte das Bundesverfassungsgericht fest: „Es ist nicht die Aufgabe staatlicher Gerichte, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären.“ Diese Feststellung bezogen die Richter nicht nur auf den Inhalt einer Äußerung, sondern auch auf ihre Form. Der DDR-Geheimdienst wurde als „besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteinsystems“ bezeichnet. Allein daraus begründe sich ein besonderes Aufklärungsinteresse.
Über die damals formulierten Grundsätze setzen sich Richter in den unteren Instanzen regelmäßig hinweg. Schon deshalb wäre es wünschenswert, dass einer der strittigen Fälle der Nennung von Klarnamen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter auf dem Tisch des Bundesverfassungsgerichts landet. Das zweite Versagen der Justiz im Umgang mit dem Unrecht der Geheimpolizei könnte so womöglich noch abgewendet werden.



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