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Die schleichende Enteignung der Neusiedler

von Karl Homer,  20. August 2004

1. Rechtliche Regelungen
2. Die Rechtsanwendung in der DDR

  • 1. Rechtliche Regelungen
  • 1.1 Gesetz über die Bodenreform im Lande Thüringen vom 11. September 1945. (Thüringer Gesetze und Verordnungen H. 1 S. 5)
    Auf Betreiben der KPD wurde die Bodenreform im Sommer 1945 in der gesamten Sowjetischen Besatzungszone in Angriff genommen. In Thüringen wurde das o. g. Gesetz erlassen, die übrigen Landes- und Provinzialverwaltungen setzten gleichlautende Verordnungen in Kraft. Obwohl die politische Macht noch ausschließlich bei den Alliierten lag, ließen die Sowjets ihre Statthalter gewähren, auch die westlichen Siegermächte tolerierten die Bodenreform.
    Offiziell sollte privater Großgrundbesitz in kleinteiliges land- und forstwirtschaftliches Privateigentum umgewandelt werden.
    Die Rechtsposition des Neubauern wird in Art. I Abs.1, letzter Satz definiert: Das zugeteilte Land soll Privateigentum seines Besitzers werden, nach der Zuteilungsurkunde "persönliches vererbbares Eigentum". Demzufolge mußte ein moderater Kaufpreis im Wert einer Jahresernte entrichtet werden (Art. V). Wirtschaften, die auf der Grundlage des Gesetzes geschaffen wurden, durften gem. Art VI weder ganz noch teilweise geteilt, verpachtet oder verpfändet werden. Sie waren damit Einschränkungen unterworfen, die bereits das preußische Anerbenrecht und das Reichserbhofgesetz kannten.
    Diese Bestimmung galt für neugeschaffene Wirtschaften und somit nicht für Flächen, mit denen bereits vorhandene Wirtschaften vergrößert wurden. Ob sie für Kleinsiedlungen (sog. Handwerkerstellen) galt, läßt das Gesetz offen. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch war "Wirtschaft" ein Vollerwerbsbetrieb (sog. Ackernahrung). Gleichwohl wurde der "Sperrvermerk" für alle aus der Bodenreform stammenden Flächen in die Grundbücher eingetragen, nicht nur für "Wirtschaften". Ob die Bodenreform ein "Fehltritt" auf dem Wege zur Verstaatlichung des Bodens war, oder eine "Mogelpackung", mit der die westlichen Alliierten zum Stillhalten veranlaßt werden sollten, müssen die Historiker herausfinden.
    Gleichwohl war die Bildung kleiner privater Bauernhöfe in der Sowjetzone eine von allen Siegermächten tolerierte Eigentumsumschichtung.
  • 1.2 Verordnung über die Auseinandersetzung bei Besitzwechsel von Bauernwirtschaften aus der Bodenreform vom 21. Juni 1951 (GBl. Nr. 78 S. 629)
    Angesichts der katastrophalen Ernährungslage sollte die Nutzung des Landes mit drakonischen Maßnahmen sichergestellt werden. Wer eine Neubauernwirtschaft aus "persönlichen Interseen" zurückgeben wollte, wurde zum Staatsfeind erklärt (Präambel). Nur in "überprüften und gerechten Fällen, in denen eine Übergabe an andere Bodenbewerber unvermeidlich ist..." (Präambel), wurde die Rückgabe einer Neubauernwirtschaft zugelassen. Bei Krankheit, Tod oder Alter durfte die Siedlung zurückgegeben werden, sie war unverzüglich an einen neuen Bewerber zu vergeben (§ 1 Abs. 1).
    Der Abgebende hatte einen Anspruch auf Entschädigung der von ihm erbrachten Wertsteigerungen (Gebäude, Anlagen, Inventar, überzahlte Kaufpreisraten), die vom Staat zu zahlen war.
    Die ungenehmigte Rückgabe einer Neubauernwirtschaft aus "persönlichen Interessen" wurde untersagt(§ 1 Abs. 3) und mit Strafe bedroht (§ 16). Der Abgebende mußte in diesem fall nicht entschädigt werden (§ 9, Abs. 2). Die Verordnung enthielt erstmalig die Behauptung, Bodenreformland dürfe nicht "veräußert" werden, im Gesetz heißt es aber "verpfändet". Demzufolge wurde bestimmt, daß beim Verkauf von Altbetrieben, die mit Bodenreformland aufgestockt worden waren, letzteres in den Bodenfonds zurückfiel allerdings sollte es nicht verstaatlicht, sondern ebenfalls an andere Bewerber vergeben werden, wobei der Käufer des Altbesitzes Vorrang genoß Die Überführung von Bodenreformland in Volkseigentum war nur im seltenen Ausnahmefall möglich: wenn die Vereinigung Volkseigener Güter aufgrund des Vorkaufrechts den Altbesitz erwarb, war ihr auf Antrag auch das Bodenreformland zuzuteilen.(§ 14).
    Die Verordnung enthielt Regelungen zum Verfahrensablauf und für den Rechtsbehelf. Sie enthielt ferner den Hinweis, daß die Landesbodenkommission aus Gründen, die "in der Person des Bauern" lagen, Neubauernwirtschaften ohne Entschädigung entziehen konnten, eine offensichtliche Ermächtigung für staatliche Willkür. Die Verordnung enthält keinen Hinweis auf eine Rückgabeverpflichtung, sie sollte eher das Gegenteil bezwecken.
  • 1.3 Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Auseinandersetzung bei Besitzwechsel von Bauernwirtschaften aus der Bodenreform vom 23. August 1956 (GBl. I Nr. 77 S. 685
    Mit dieser Vorschrift wird das Verfahren zur Bestimmung der Entschädigung für den abgebenden Bauern geändert. Diese war künftig nicht vom Staat, sondern vom übernehmenden Bauern zu zahlen. Sie wurde aber weiterhin von staatlichen Stellen festgesetzt.
    In der Verordnung wird die im Gesetz und in der ersten Besitzwechselverordnung verwendete Bezeichnung "Kaufpreis" durch den Begriff "Bodenreform-Übernahmebeiträge" ersetzt.
    Sie enthält aber auch einen Hinweis auf die Erblichkeit des Bodenreformeigentums. Dem Übernehmenden, auch dem Erben, wurde eine "Verwaltungsgebühr" auferlegt (§ 4).
  • 1.4 Verordnung über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken vom 7. August 1975 (GBl. I Nr. 35 S. 629)
    Mit der Zwangskollektivierung, die 1960 abgeschlossen war, hatten sich die Bestimmungen der vorherigen Verordnungen weitgehend überlebt. Sie waren darauf gerichtet, den Neubauern die Abgabe ihrer Wirtschaften zu erschweren und ließen die Überführung von Bodenreformland in Staatseigentum nur in seltenen Ausnahmefällen zu.
    Die SED-Führung hatte aber den Aufbau des Sozialismus und damit die schrittweise Überführung des Produktivvermögens in Staatseigentum beschlossen. Obwohl die vorgenannten Bestimmungen hierbei eher hinderlich waren, wurden sie erst 15 Jahre nach Abschluß der Zwangskollektivierung geändert.
    Die neue Verordnung regelt in den §§ 1...3 den Besitzwechsel auf Antrag der Beteiligten: Bodenreformgrundstücke konnten danach von ihren bisherigen Eigentümern an LPG-Mitglieder und Beschäftigte der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft (LFN) übertragen werden. Mit einer Einschränkung: War der Übernehmende kein Genossenschaftsmitglied, umfaßte der Besitzwechsel nur das Wohngrundstück mit Gartenland. Die von der LPG genutzten Flächen konnten auf Antrag des Abgebenden in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt werden

Das LPG-Gesetz von 1959 enthielt übrigen eine Parallelbestimmung, Flächen aus Altbesitz durften ebenfalls nur an den Staat (für öffentliche Zwecke), die LPG (nur im Ausnahmefall) oder an Genossenschaftsmitglieder veräußert werden.
Mit der Verordnung wurde auch in das Erbrecht eingegriffen: Nur LPG-Mitglieder und Beschäftigte der LFN durften Bodenreformeigentum erben. Allerdings wurde diesen nichts "übertragen", sie traten, sofern sie rechtlich dafür qualifiziert waren, in die Rechtsposition des Erblassers ein. Allerdings durfte das Erbe nicht geteilt werden, waren mehrere Erben vorhanden, hatten sie sich darauf zu einigen, wer das Grundstück erben sollte. Bei Nichteinigung fiel das Grundstück in den Bodenfonds zurück (§ 4 Abs. 1).
Wer nicht zu diesem Personenkreis gehörte, dem konnten Nutzungsrechte am Wohngrundstück übertragen werden (§ 4 Abs. 2).
Fehlten die Voraussetzungen für die Übertragung an die Erben (gemäß Abs 1 und 2), war das Grundstück ebenfalls in den Bodenfonds zurückzuführen.
Die Verordnung regelte ferner den Verkauf von Bodenreformgebäuden an Dritte (§ 5) und die Ansprüche des Abgebenden auf Erstattung des Wertzuwachses bei der Übertragung oder dem Verkauf, der auch Erben von Bodenreformgrundstücken zustand (§ 6 ).
Besitzern von Bodenreformgrundstücken konnte die Auflage zur Vornahme eines Besitzwechsels erteilt werden, wenn sie das Grundstück nicht nach den Grundsätzen der sozialistischen Bodenpolitik nutzten oder die Werterhaltung gröblich vernachlässigten.
Gegen den Verkauf von Gebäuden aus der Bodenreform, die Abfindung und die Entziehung konnte Beschwerde eingelegt werden (§ 10).
Die Verordnung verwendet den Begriff "Wirtschaften" nicht mehr, statt dessen werden die Begriffe "Grundstücke" und "Kleinstflächen aus der Bodenreform" verwendet.

  • 1.5 Zweite Verordnung über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken vom 7. Januar 1988 (GBl. I Nr. 3 S. 25)
    Mit der Änderung der Vorschrift sollten landwirtschaftliche Familientraditionen gefördert werden. Der Besitzwechsel an Verwandte sollte besonders unterstützt werden. Schlug der Abgebende einen zuteilungsfähigen Verwandten vor, durfte der Rat des Kreises keinen andern Bewerber bevorzugen (§ 1).
    Der Erbfall (§ 4) wurde neu gefaßt: Erben traten nicht mehr in die Rechtsposition des Erblassers ein, ihn wurde das Bodenreformgrundstück "zugeteilt". Trotzdem verdient der neugefaßte Abs. 1 zitiert zu werden:
    "Der Rat des Kreises hat auf Verlangen des Erben ihm oder einem seiner von ihm genannten Verwandten die Rechte und Pflichten zur Bewirtschaftung des Bodenreformgrundstückes zu übertragen, wenn er oder der Verwandte das Bodenreformgrundstück als Genossenschaftsmitglied oder Arbeiter zweckentsprechend nutzen wird".
    Die Regel, daß das Grundstück nicht unter mehreren Erben geteilt werden durfte, blieb bestehen. Über die vermögensrechtlichen Beziehungen konnten sich die Erben untereinander selbst einigen.
    Die Möglichkeit zur Übertragung von Wohngrundstücken an nichtzuteilungsfähige Erben wurde präzisiert. Wenn ein solcher Erbe bereits in einem solchen Grundstück wohnte oder ihm das Grundstück im Rahmen der Wohnraumlenkung zugewiesen wurde, fiel das betroffene Grundstück nicht in den Bodenfonds zurück.
  • 1.6 Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl. I Nr. 17 S. 134)
    Mit diesem Gesetz wurden die Beschränkungen des Bodenreformeigentums vollständig aufgehoben. Es unterstand fortan den Bestimmungen des Zivilgesetzbuches, der Grundstücksverkehrsverordnung und der Bodennutzungsverordnung. Damit war es dem land- und forstwirtschaftlichen Altbesitz rechtlich gleichgestellt.
  • Zusammenfassung

    Die ursprüngliche Rechtsposition des Bodenreformeigentümers definiert sich aus Art. I des Bodenreformgesetzes von 1945 und den §§ 903 ff. BGB, welches im Osten Deutschlands bis 1975 in gültig war. Der Bauer besaß damit Privateigentum, das er nicht teilen, verpachten oder verpfänden durfte. Im Verlauf der DDR-Geschichte wurde die Rechtsposition des Eigentümers schrittweise ausgehöhlt, sein "Persönliches vererbbares Eigentum" wurde in "Arbeitseigentum" umgewandelt, welches sukzessive entgegen dem ursprünglichen Ziel der Bodenreform in Staatseigentum überführt wurde.
    Die erste Besitzwechselverordnung hatte den Charakter einer Notverordnung, der Bauer sollte mit drakonischen Maßnahmen dazu gebracht werden, seinen Beitrag zur Volksernährung zu leisten. Trotzdem beginnt mit ihr die Demontage der Eigentümerrechte. Das Verbot die Wirtschaft zu verpfänden, wurde in ein Veräußerungsverbot "umgedeutet". Damit entfiel die Entschädigung bei Eigentumsentzug, sie wurde auf Erstattung der persönlich erbrachten Wertsteigerung reduziert.
    Ferner wurden die Beschränkungen des Art. VI, die für Wirtschaften galten, auch auf Einzelflächen angewendet. Auch der Bauer, der Bodenreformland hinzubekommen hatte, konnte damit nur eingeschränkt über sein Eigentum verfügen.
    Die Änderung der Verordnung aus dem Jahre 1956 vermied den Begriff "Kaufpreis", entließ den Staat aus der Entschädigungspflicht und führte eine Verwaltungsgebühr beim Besitzwechsel ein.
    Die Besitzwechselverordnung von 1975 trat fast zeitgleich mit dem neuen Zivilgesetzbuch in Kraft. Obwohl letzteres die erbrechtlichen Bestimmungen des BGB inhaltlich nahezu identisch übernommen hatte, schränkte die Verordnung die Rechte der Erben von Bodenreformeigentum entscheidend ein. Mit einer nachrangigen Rechtsnorm wurde höherwertiges Recht im Bedarfsfall ausgehebelt. Die letzt Änderung der Besitzwechselverordnung sollte Erben eine gewisse Verbesserung ihrer Position bringen, nichtzuteilungsfähige Erben konnten ihre Ansprüche an zuteilungsfähige Verwandte abtreten. Allerdings änderte das nichts am "Arbeitseigentum", auch der Verwandte mußte in der LFN beschäftigt sein. Sie hat aber in der Praxis kaum noch eine Rolle gespielt. Das klägliche Ende der SED-Herrschaft hat auch die Abschaffung des Privateigentums auf dem Lande erst einmal gestoppt. Es blieb dem Deutschen Bundestag vorbehalten, die sozialistische Bodenpolitik fortzusetzen.

  • 2. Die Rechtsanwendung in der DDR
  • In den ersten Jahren der DDR diente die Besitzwechselverordnung ihrem eigentlichen Zweck, Neubauern zu drangsalieren, die ihren Verpflichtungen gegenüber dem Staat nicht nachkommen konnten und sich von ihrem Eigentum wieder trennen wollten. Aber mit der Zwangskollektivierung änderten sich die politischen Vorgaben, Privateigentum war auf dem Wege zum Sozialismus hinderlich, Produktivkapital gehörte in die Hände des Staates.

    Obwohl man beim Vergleich der Fälle, in denen Bodenreformland entzogen wurde, zu dem Schluß kommt, daß dieses willkürlich geschah, gibt es doch vergleichbare Fälle:
    (1.1) Erfolgreiche Neubauern, die sich weigerten, der LPG beizutreten, leitende Funktionen zu übernehmen oder wieder austraten, wurden drangsaliert um andere Bauern einzuschüchtern.
    Dazu gehörte Ablieferungssoll hochschrauben, Traktoren sperren, weniger Dünger usw. Kam der Bauer in wirtschaftliche Notlage, bot man ihm den LPG-Beitritt an. Wenn sich der Betroffene durch Republikflucht entzog, wurde sein Vermögen eingezogen und der LPG übergeben.
    (1.2) Ältere und Alleinstehende, deren Kinder nicht der LPG beitraten, wurde das Land abgenommen, weil sie angeblich nicht genügend Arbeitskräfte eingebracht hatten. Rechtlich galt in diesen Fällen aber die Regelung, des Kreispachtvertrages.
    (1.3) Wechselten Genossenschaftsmitglieder mit Einverständnis der eigenen LPG (anders war es nicht möglich) in eine andere LPG, wurde ihnen in einigen Fällen ihr Land entzogen.
    (1.4) Es sind zwei Fälle bekannt, in denen eine Genossenschaft in ein VEG umgewandelt wurde (VEG Sellendorf), und wo das Volksgut durch Übernahme benachbarter Genossenschaften aufgestockt wurde (VEG Damm). Den hiervon betroffenen Siedlern wurde auf Antrag des Rates des Kreises das Land abgenommen. Nur in wenigen Fällen erhielten die Bauern, die nicht Landarbeiter werden wollten, an anderer Stelle Ersatzland.
    (1.5) Wälder, auch Alteigentum, sollten offensichtlich auf kaltem Wege in Staatseigentum gelangen. Die LPG durfte die eingebrachten Waldflächen nicht selbst bewirtschaften, sondern an den Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb abgeben. In der Regel blieb beim Besitzwechsel, bei Erbschaft oder Überlassung von Wirtschaften zu Lebzeiten der alte Eigentümer im Grundbuch, während für die übrigen Flächen der Eigentümerwechsel eingetragen wurde.
    Es sind aber auch Fälle bekannt, in denen Besitzer von Bodenreformwald diesen abholzen, das Holz an den Staat "verkaufen" mußten (zu nicht kostendeckenden Preisen!), auf eigene Kosten wieder aufforsten mußten und anschließend auf den Wald zugunsten des Staates "verzichten durften".

  • Hierzu folgende Beispiele:.
    (2.1) Der erfolgreiche Neubauer B. gründet mit anderen 1952 eine LPG und wird deren Vorsitztender. 1956 tritt er aus der Genossenschaft aus. Das Land erhält er zurück, das eingebrachte Inventar. Um andere Einzelbauern einzuschüchtern, drängen Gemeinde und LPG, ihm die Wirtschaft abzunehmen und ihn in eine andere Gemeinde umzusiedeln. B. gibt nach nervenaufreibendem Kleinkrieg im November 1957 seine Wirtschaft zurück, statt reumütig in die Genossenschaft zurückzukehren. Der Zwangsumsiedlung entgeht er durch Flucht in den Westen. Dort wird er als politischer Flüchtling anerkannt (sog. C-Schein). Sein Land im Osten wird Eigentum des Volkes.
    Der Restitutionsantrag seines Sohnes wird abgelehnt, die Bundesrepublik eignet sich damit das Vermögen eines politisch Verfolgten an. Der Ablehnungsbescheid liest sich wie von der SED-Bezirksleitung verfaßt. Außerdem ist er ein Beispiel rechtlicher Ungleichbehandlung, hätte B. Altbesitz zurückgelassen, wäre sein Eigentum ohne Wenn und Aber restituiert worden.
    (Vom Sohn gründlich recherchiert!)

    (2.2) Die alleinstehenden Schwestern B. und F. treten der LPG bei, weil sie ihre Betriebe nach dem Tod der Ehemänner nicht allein bewirtschaften können. Trotzdem verlieren sie ihr Eigentum an den Staat. F. verliert zudem ihr Wohnhaus, sie muß, um darin wohnen zu können, Miete zahlen. Nach der Wiedervereinigung erwirbt sie es zurück. Interessant ist eine Formulierung aus dem blehnungsbescheid:
    Die Streichung der Eigentümer aus dem Grundbuch sei zwar eine Enteignung, gleichwohl könne nicht restituiert werden, da die Betroffenen zugestimmt hätten.

    (2.3) Herr D. erhält in Fliederhorst in den Jahren 1948/49 insgesamt 12,6 ha Land aus der Bodenreform. Er wird Mitglied der LPG Typ I Fliederhorst. 1962 wird die LPG aufgelöst. Ein Teil der Mitglieder wird mit ihren Flächen von der LPG Friesack übernommen, die übrigen vom VEG Damm. Die Mitglieder stellen ihre Flächen dem VEG zur Nutzung zur Verfügung und werden Landarbeiter.
    1965 und 1973 werden die Flächen ohne Kenntnis des Eigentümers in Volkseigentum überführt. Sein Restitutionsantrag wird 1997 abgelehnt.

    (2.4) Frau M. ist Eigentümerin einer Bodenreformwirtschaft in Wesselsdorf. 1955 werden sie und ihr Mann Mitglieder der dortigen LPG. Am 8. August 1957 wechseln sie in eine LPG im Kreis Güstrow.
    Gemäß Besitzwechselprotokoll vom 10.Juli 1965 wird die Siedlung "von Amts wegen" mit Wirkung vom 1. April 1956 in Volkseigentum überführt.
    Frau M. verstirbt am 8. Oktober 1990. Der Restitutionsantrag der Tochter wird abgelehnt, die Klage dagegen bleibt erfolglos.
    Der Entzug von Bodenreformeigentum nach Wechsel in eine andere LPG war nicht die Regel.
    Willkür ist nicht auszuschließen.

    (2.5) Herr O. erhält für das Jahr 1971 einen Ablieferungsbescheid über 5 Festmeter Stammholz und 30 Festmeter Grubenholz . Er wird verpflichtet, den gesamten Wald abzuholzen, vor dem Einschlag den Unterwuchs zu räumen, ferner das Holz zu entasten, zu schälen und auf Unterlagen zu rücken. Nutzholz darf er nicht in Brennholz einschneiden. Als Walderneuerungsmaßnahme wird ihm die Beräumung und die Wiederaufforstung der Schlagfläche auferlegt. Als dieses erledigt ist darf er den Wald dem Staat schenken.

  • Neben den geschilderten "Standardsituationen" gibt es aber auch Enteignungsfälle, die in kein Schema passen.
    Auffällig ist ferner, daß in den 50-er Jahren gehäuft Bodenreformland verstaatlicht und der LPG zur Nutzung übergeben wurde. Die Erklärung könnte darin liegen, daß ein LPG-Mitglied beim Austritt aus der Genossenschaft seine oder Austauschflächen zurückerhielt.
    Waren sie aber Staatseigentum, durfte die LPG diese behalten. Deshalb ging vor Abschluß der Zwangskollektivierung die Initiative von der LPG aus, später mehr von staatlicher Stelle.
    Mit dem LPG-Gesetz stand der LPG ohnehin das Nutzungsrecht zu, wer als Eigentümer im Grundbuch stand, spielte für sie keine Rolle mehr. Nach Inkrafttreten der Besitzwechselverordnung von 1975 wurde vermehrt das Eigentum zuteilungsfähiger Erben verstaatlicht. Auch hier läßt sich eine gewisse Systematik erkennen.

    (3.1) Obwohl zuteilungsfähige Erben vorhanden waren, wurden die Grundstücke in Staatseigentum überführt. Entweder wurden die Erben hiervon nicht in Kenntnis gesetzt, oder die nichtzuteilungsfähigen Erben wurden zum Verzicht veranlaßt, der zuteilungsfähige Erbe aber sicherheitshalber nicht gefragt.

    (3.2) Erbfälle wurden wie Besitzwechsel auf Antrag der Beteiligten abgewickelt. Das hatte den Vorteil, daß man von Erben, die in der LFN beschäftigt, aber nicht LPG-Mitglieder waren, die Flächen verstaatlichen konnte. Hierfür war aber der Antrag des Abgebenden maßgeblich (§ 3 Abs. 1). In vielen Fällen wurden nach dem Tod des Erblassers "Verzichtserklärungen" abgegeben, die statt vom verstorbenen Eigentümern von staatlichen Stellen unterzeichnet wurden.

    (3.3) Obwohl die Voraussetzungen für die Übertragung von Wohngrundstücken an nicht zuteilungsfähige Erben vorlagen (§ 4, Abs 2 BeswechselVO 1975, § 4, Abs. 4 BesWechselVO 1988) wurden Wohngrundstücke in Volkseigentum überführt und mußten von den Erben zurückgekauft werden. Den Kaufpreis behielt die Gemeinde ein.

    (3.4) Gingen Wohngrundstücke von Neusiedlern im Erbfall an Dritte, erhielten die Erben keine oder eine geringere Entschädigung, als ihnen zustand.
    Hierfür folgende Beispiele:

      (3.4.1) Herr P. ist Eigentümer einer Bodenreformsiedlung, die er 1960 in die LPG Osterweddingen einbringt. Sein Sohn ist bereits seit 1959 Mitglied der gleichen Genossenschaft. Herr P. verstirbt 1975. Sein Betrieb wird 1979 in Volkseigentum überführt. Die Verzichtserklärung trägt statt der Unterschrift von Herrn P. den Vermerk: "Verstorben, Ratsbeschluß Nr. 9/79 vom 7. 5. 79". Die Erben werden nicht informiert, sie erhalten keine Entschädigung.

      (3.4.2) Die Genossenschaftsbäuerin Frau S. bewohnt mit Tochter und Schwiegersohn die Hofstelle ihrer Neubauernwirtschaft. Nach ihrem Tode müssen diese das Wohngebäude käuflich erwerben, da sie nicht in der LFN beschäftigt sind. Den Kaufpreis erhält die Gemeinde. Die Ackerflächen werden auf Grund von "Verzichtserklärungen", die nach ihrem Tode aufgesetzt und demnach nicht von ihr unterzeichnet sind, in Volkseigentum überführt.

      (3.4.3) Frau L. hinterläßt nach ihrem Tode 1982 eine Bodenreformwirtschaft, zu der auch ein von ihr errichtetes Wohngebäude gehört. Da ihre Kinder (Ärztin, Wissenschaftler) nicht der LPG beitreten können, stimmen sie einem Besitzwechsel zu. Das Wohngrundstück erhält das Ehepaar Z., die Flächen werden Staatseigentum. Die Erben erhalten eine Entschädigung von insgesamt 1410 Ostmark. Die Summe liegt weit unter den damals üblichen Preisen für Wohnhäuser, die von der Erblasserin in die LPG eingebrachten Vermögenswerte wurden offenbar nicht berücksichtigt.

  • Noch ein Beispiel für viele abstruse Enteignungsfälle, die ebenfalls in kein Schema passen:

    Der Neubauer G. bringt 1953 seinen Betrieb in die LPG Etzin ein. Er absolviert ein landwirtschaftliches Studium und wird 1970 vom Rat des Kreises in die LPG Markee delegiert. Bis 1990 ist er in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben (Kraftfuttermischwerk, BHG) tätig.
    Auf Antrag des Rates des Kreises Nauen wird das Bodenreformland 1982 in Volkseigentum überführt, obwohl kein Erbfall eingetreten ist, und der bisherige Eigentümer keinen Antrag auf Durchführung eines Besitzwechsels gestellt hat.
    In Dabendorf entstehen durch mehrere Erbgänge zwei personell identische Erbengemeinschaften, die Eigentümer von Bodenreformgrundstücken sind. 1982 verstirbt ein Mitglied der Erbengemeinschaft, die Betreffende hinterläßt keine zuteilungsfähigen Nacherben. Das nimmt der Rat des Kreises zum Anlaß, mittels "Wiederruf" die gesamte Erbengemeinschaft zu enteignen.
    Ein Miterbe lebt zu diesem Zeitpunkt in Berlin-West.

Fazit

Das Vorgehen der Behörden läßt vor allem in den 70-er und 80-er Jahren den Schluß zu, daß nicht das Vorliegen der entsprechenden Bedingungen, sondern staatliche Vorgaben zur Stärkung des volkseigenen Sektors Anlaß für die Enteignung von Bodenreformland waren. Die meisten Betroffenen haben erst durch abgelehnte Restitutionsbescheide erfahren, weshalb sie ihr Eigentum angeblich zu Recht an den Staat abgeben mußten." Rechtsanwendung" trifft insofern nur eingeschränkt zu.
Nicht nur Bodenreform-, sondern auch Alteigentum war vor staatlichem Zugriff nicht sicher:
Das LPG-Gesetz billigte der Genossenschaft das uneingeschränkte und unentgeltliche Nutzungsrecht an den eingebrachten Flächen zu, womit deren Besitzer faktisch enteignet wurden.
Darüber hinaus durften Privatpersonen nur Land kaufen, die Mitglieder einer LPG waren. Da diese das meist nicht wollten, weil es keinerlei Nutzen brachte, ging man andere Wege: Verkaufte ein Altbauer sein Wohngrundstück, wurde das Ackerland ebenfalls auf den Käufer übertragen, auch wenn es nicht Gegenstand des Kaufvertrages waren (sog. Notarbetrug).
Auch Waldflächen sollten wie bereits geschildert, offenbar irgendwann Staatseigentum werden.
Die schleichende Umwandlung von landwirtschaftlichem Privateigentum in "Arbeitseigentum" war somit nicht nur auf Bodenreformland beschränkt.
Die Einschränkungen, denen das Bodenreformeigentum im Verlauf der DDR-Geschichte unterworfen wurde, widersprechen schon dem Grunde nach tragenden Grundsätzen des Rechtsstaates. Die Bundesrepublik hätte gemäß Art. 19 des Einigungsvertrages kritisch prüfen müssen, ob sie solcherart in Staatsbesitz gelangte Vermögen überhaupt für sich beanspruchen durfte, auch wenn sich die DDR im Einzelfall korrekt an ihre eigenen Bestimmungen gehalten hat. Um so mehr trifft das auf die Fälle zu, bei denen es für die Verstaatlichung noch keine Rechtsgrundlage gab (bis 1975) oder in denen die Bestimmungen der jeweils geltenden Besitzwechselverordnung nicht eingehalten wurden.
Vor allem hätte der Bundestag keine Bestimmungen "nachzeichnen" dürfen, mit der die Grundsätze der sozialistischen Bodenpolitik in der DDR durchgesetzt werden sollten und die nach der Wiedervereinigung zum Verlust von ehemaligem Bodenreformeigentum führten. Der Sozialismus in Deutschland war mit überwältigender Mehrheit abgewählt worden, die DDR hatte sich einem Staat angeschlossen, in dem es kein "Arbeitseigentum" gab.
Und auf keinen Fall hätte die deutsche Rechtssprechung dieses Gesetz nachträglich noch einmal ändern dürfen um die Beschäftigten, die nicht LPG-Mitglieder waren, ebenfalls zu enteignen.

Der Verfasser, Karl Homer, von Beruf Diplom-Landwirt,
war bis 2003 Amtsleiter einer Agrarbehörde, davor im Agrarministerium in Brandenburg tätig und verfügt über vielseitige Erfahrungen, auch aus der DDR-Zeit, in den Bereichen Agrarpolitik und 'Ländliche Räume'.
Er ist seit kurzem Mitglied des ARE-Bundesvorstandes.