WiROZ

Schwarzbuch

Unwirksame Verzichtserklärung mit nachfolgender Grundbuchumschreibung in der Bodenreform


|

Bei dem Landgericht Stralsund war am 14.12.2004 ein Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt worden unter Beifügung eines Klageentwurfs mit folgendem Hintergrund:

Der Vater der Antragstellerin war als alleiniger Eigentümer im Grundbuch für eine Bodenreformwirtschaft eingetragen. Er verstarb im Jahre 1965. Seine Ehefrau und seine Kinder, darunter auch die Antragstellerin, lebten in dem zugehörigen Wohnhaus und führten die Bewirtschaftung weiter, soweit sie nicht von der ortsansässigen LPG übernommen worden war. Eine Änderung im Grundbuch durch Rechtsnachfolge im Todesfall wurde, so wie üblich, nicht durchgeführt.

Die Mutter erhielt während des gesamten Zeitraums, also über zwanzig Jahre, die Bodenanteile von der LPG ausgezahlt. Nachdem sie ihrerseits verstorben war, wurde ein Rechtsträgernachweis erstellt, wonach die gesamte Wirtschaft in das Eigentum des Volkes übergehen sollte und ein Grundbuchumschreibungsantrag gestellt mit dem Vermerk "Eigentümer ist verstorben". Dieser Antrag war ausschließlich vom Bürgermeister der Gemeinde unterzeichnet worden. Daraufhin wurde das Grundbuch umgeschrieben. Die Begründung lautete, dass ein Besitzwechsel gemäß der Besitzwechselverordnung vom 07.08.1975 statt gefunden habe. Das dazu gehörige Besitzwechselprotokoll, das in einem Formular mit der Überschrift "Antrag auf Umschreibung im Grundbuch" enthalten war, enthielt den Satz: " Dem Rat der Gemeinde gegenüber erkläre ich, dass ich auf die vorgenannten Grundstücke verzichte." Auch dieses Schriftstück wurde vom Bürgermeister unterzeichnet und vom Rat des Kreises genehmigt. In der Folge behauptet die heutige Eigentümerin Bodenverwertungs- und -verwaltungsGmbH (BVVG), der Eigentümer habe auf sein Eigentum verzichtet, was sich aus der Verzichtserklärung vom 06.05.1985 ergebe, obwohl der Eigentümer jedoch im Jahre 1965 schon verstorben war.

Damit handelt es sich jedenfalls nicht um eine wirksame Verzichtserklärung, da der Bürgermeister der Gemeinde in keiner Weise berechtigt oder bevollmächtigt war. Da in einem vergleichbaren Fall der Bundesgerichtshof bereits am 09.10.1998 entschieden hatte, dass eine Grundbuchumschreibung nur dann erfolgen darf, wenn der Umschreibungsantrag den Erfordernissen der einschlägigen DDR-Gesetze entspräche, wurde ein entsprechender Antrag auf Grundbuchberichtigung gestellt. Der wesentliche Satz mit der Begründung des BGH-Urteils lautete: "Die Überführung eines Grundstücks in Volkseigentum war nach § 310 ZGB ohne eine Erklärung des Eigentümers, die den Verzicht, die Bevollmächtigung hierzu oder die Genehmigung der vollmachtlos abgegebenen Verzichtserklärung zum Gegenstand hatte, nicht möglich." Dieses Urteil war Gegenstand der Klagebegründung.

Nach erheblicher Verzögerung des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens wurde diese tatsächlich mit Gerichtsbeschluss vom 13.10.2005 bewilligt, was nach den einschlägigen Vorschriften nur dann der Fall sein kann, wenn das Gericht die Rechtsverfolgung für aussichtsreich hält. Nachdem im Verfahren keine Sachverhaltsfragen durch Beweiserhebung zu klären waren, sondern ausschließlich Rechtsfragen, konnte also davon ausgegangen werden, dass die Angelegenheit einem positiven Ende zugeführt werden könnte.

Es wurde, wiederum mit einiger Verzögerung, Ende Juli 2006 ein Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 18. August 2006 anberaumt, wofür überraschend ein Richterwechsel statt gefunden hatte. Der nun tätige Richter, der bis dahin für Restitutionssachen völlig unbekannt war und der Unterzeichnerin auch dem Namen nach nicht geläufig war, erklärte in der Verhandlung zunächst, dass die geltend gemachten Bedenken gegen die Wirksamkeit der Verzichtserklärung zwar zutreffen würden, es jedoch hierauf nicht ankäme, da alleine die Grundbuchumschreibung zu beachten wäre. Eine Grundbuchumschreibung sei zweifellos ein Verwaltungsakt, der nach Artikel 19 Einigungsvertrag unangreifbar wäre, da sich die beiden deutschen Staaten darüber einig gewesen wären, Verwaltungsakte in jedem Fall bestehen zu lassen.

Diese Kehrtwende im Verfahren konnte nicht nachvollzogen werden, denn Tausende von Verfahren befassten sich nach der Wende mit Grundbuchberichtigungsansprüchen, die lediglich in unterschiedliche gesetzliche Regelungen fielen, so z. B. unter das Vermögensgesetz. Wären danach alle durchgeführten Grundbuchumschreibungen als Verwaltungsakte angesehen worden, wären die dazu gehörigen Gesetze völlig überflüssig gewesen.

Das Urteil wurde bereits vier Tage nach dem Verhandlungstermin verkündet mit dem bereits angesprochenen Inhalt. Es wurde darauf hingewiesen, dass es nicht entscheidungserheblich sei, ob das Eigentum an den Grundstücken nach dem im Jahre 1965 verstorbenen Eigentümer in den Nachlass gefallen sei und im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben übergegangen sei. Vielmehr sei ausweislich des Rechtsträgernachweises die Überführung in Volkseigentum erfolgt. Im übrigen hätten die Erben, sollten sie jemals Eigentümer geworden sein, dieses jedenfalls durch die Überführung in Volkseigentum wieder verloren. Dies ergebe sich aus Art. 19 Einigungsvertrag und im übrigen gelte Art. 237 § 1 EGBGB, der eine fehlerhafte Überführung in Volkseigentum geheilt habe. Es sei darauf abzustellen, dass es bei der Entstehung von Volkseigentum nicht auf die Beachtung des Verfahrens und dort unterlaufener Fehler, sondern darauf ankomme, ob das angestrebte Ergebnis nach den vorhandenen Vorschriften in der Sache erreichbar war. Diese Vorschrift sei hier auch anwendbar (es handelt sich hier um das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz vom 17.07.1997). Der Umschreibungsantrag sei durch den Rat des Kreises nicht im Namen des Eigentümers bzw. seiner Erben erfolgt, sondern im eigenen Namen "(wohl als nach der Besitzwechselverordnung 1975 zuständiger Verwaltungsträger des Bodenfonds)". Spätestens an diesem letzten Satz zeigt sich, dass der Richter die Akte kaum vollständig gelesen haben dürfte, da weder der Rat des Kreises die Erklärung abgegeben hatte noch dieser zuständiger Verwaltungsträger des Bodenfonds gewesen war.

Im übrigen wären die staatlichen Organe der DDR nach der besagten Besitzwechselverordnung berechtigt gewesen, die streitbefangenen Grundstücke in den Bodenfonds zurückzuführen und in Volkseigentum zu überführen. An dieser Stelle muss man sich wohl fragen, warum die Sammelverzichtserklärungen für ganze Flächen, die von LPGen bewirtschaftet worden waren, unter Verschluss gehalten wurden und weshalb es zu zahlreichen massiven Bedrohungen von Bodenreformeigentümern gekommen war, die nicht bereit waren, freiwillig eine Verzichtserklärung zu unterschreiben. Auch muss die Frage erlaubt sein, ob das Gericht nicht verpflichtet ist, neben der Besitzwechselverordnung 1975 auf diejenigen von 1951 und 1956 mit ihren abweichenden Inhalten zur Kenntnis zu nehmen und auf die jeweiligen Vorgänge differenziert anzuwenden.

Zum Schluss des Urteils wird nochmals darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin, selbst wenn sie nach dem Erbfall eingetragene Eigentümerin gewesen wäre, durch die Eigentumsumschreibung ohnehin ihr Eigentum verloren hätte und sie im übrigen auch keinen Anspruch gemäß Art. 233 § 12 EGBGB habe.

Gegen das Urteil wurde Berufung zum Oberlandesgericht eingelegt. Es wird sich nun herausstellen, ob auch das Oberlandesgericht der Ansicht ist, dass Art.19 Einigungsvertrag die Grundbuchumschreibungen umfasse und damit sämtliche die Grundstücksfragen regelnden Vorschriften hinfällig wären. Es wird zu klären sein, ob nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Art. 237 EGBGB auf Bodenreform Anwendung finden kann, obwohl dieser Artikel ausschließlich Angelegenheiten der Wohnraummodernisierungssicherung in drei Fallgruppen erfasst, die in der Beratungsunterlage des deutschen Bundestages abschließend benannt sind mit Eigenheim, Unternehmen und Wohnungsbau, sodass Bodenreformgrundstücke und landwirtschaftlich genutzte Grundstücke insgesamt gerade nicht hiervon erfasst sind. Es ist die Frage, ob die Vorschriften der Grundbuchverfahrensordnung der ehemaligen DDR, die bekanntlich bis zum 02.10.1990 gültig waren, nicht zu beachten sind, wonach eine Grundbuchumschreibung nach Verzichtserklärung nur dann zulässig ist, wenn der Verzicht durch den Eigentümer erklärt wird. Es ist auch zu klären, ob auf einen Erbfall ein Gesetz angewendet werden kann, das erst zehn Jahre später erlassen wird, so wie hier auf den Erbfall 1965 die Besitzwechselverordnung von 1975 angewandt werden möchte. Außerdem war in dieser Verordnung keineswegs das Recht enthalten, dass ein Bürgermeister die Überführung von Bodenreformgrundstücken in Volkseigentum durchführen durfte.

Für viele vergleichbare Fälle unwirksamer Verzichtserklärungen gerade im Bereich der Bodenreform wäre es hilfreich, möglichst viele Fälle und die damit verbundenen gerichtlichen Erfahrungen zusammen zu tragen. Auch diejenigen Fälle, in denen ehemalige Eigentümer zur Abgabe einer Verzichtserklärung gezwungen wurden, könnten zur Verdeutlichung der Brisanz dieser Entscheidung und zur Erleichterung der Entscheidungsfindung durch das Oberlandesgericht beitragen.

Grimmen, den 09.12.2006

gez. C. Wildgans

Rechtsanwältin und Mediatorin