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Schwarzbuch

Udo Madaus und das "deutsche Watergate"


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Udo Madaus und das "deutsche Watergate"

Seit Jahren streitet der Kölner um die Rückgabe des enteigneten Arzneimittelunternehmens seiner Familie in Radebeul

Von Heinrich Löbbers

"Ich fühle mich noch als Sachse."

Der Dieb, der Hehler und der Fabrikant

Dresden ist allgegenwärtig in dem Bürogebäude draußen am Stadtrand in Köln-Merheim. Jedenfalls in der vierten Etage des früheren Verwaltungssitzes der Madaus AG, wo Dr. Udo Madaus noch sein etwas in die Jahre gekommenes Büro hat. In diesem Jahr wird er 80, aus der Leitung des Arzneimittelunternehmens hat er sich längst zurückgezogen. Aber er hat noch eine Mission. Udo Madaus aus Köln, geboren in Radeburg, aufgewachsen in Radebeul, kämpft gegen "Staatshehlerei", "Rechtsbeugung", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und was ihm noch alles für Begriffe einfallen, wenn es um die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 geht und vor allem um die verweigerte Rückgabe nach 1990. Um die Wahrheit gehe es ihm, sagt Udo Madaus und um die Rückgabe des nach dem Krieg konfiszierten Familienbetriebs in Radebeul. Der Mann gibt nicht auf. Er spricht von einem "deutschen Watergate": "Keiner soll sagen können, er habe von diesem Skandal nichts gewußt."

*Indianische Heilpflanzen am sächsischen Elbhang*

Sein Büro, von dem aus Dr. Udo Madaus den "Skandal" in die Welt hinausruft, ist voller Erinnerungen an die Heimat. Stadtwappen von Dresden und Radebeul, eine Skizzensammlung des Dresdner Malers Robert Sterl hängt an der Wand. "Die wird vielleicht mal im Dresdner Stadtmuseum gezeigt", sagt Madaus. Im Regal liegt ein dicker Trümmerstein der Frauenkirche, in einem Extraraum hängen die Wände voller Stifterbriefe für die Frauenkirche. Madaus hat vor Jahren in Köln einen Freundeskreis für den Wiederaufbau gegründet. Er ist fasziniert von der Idee, daß dort wiederentsteht, was in der Vergangenheit einmal zerstört wurde. "Hier, das ist unsere Vergangenheit", sagt er und zeigt an der Wand auf ein Bild vom Firmengelände der Madaus-Werke in Radebeul. Aus den 30er/40er Jahren muß das sein, als sich das Unternehmen mit Naturheilmitteln bereits einen Namen gemacht und mehrere Zweigniederlassungen hatte. Das heute noch verbreitete Echinacin zum Beispiel stammt aus jener Zeit. Udo Madaus' Onkel Gerhard hatte die indianische Heilpflanze Echinacea purpurea aus Amerika mitgebracht, in Radebeul kultiviert und daraus ein Aufbaupräparat gemacht.

Unablässig schreibt er Briefe an Politiker

Udos Vater Friedemund hatte 1919 gemeinsam mit den Brüdern Gerhard und Hans Madaus im Rheinland das Unternehmen gegründet, das schon bald zunächst ins sächsische Radeburg, dann 1929 nach Radebeul zog. Es entstanden größere Forschungs- und Fabrikanlagen, in großen Madaus-Gärtnereien wurden Heilpflanzen angebaut, die Firma hatte mehrere hundert Mitarbeiter. Unmittelbar nach Kriegsende demontierte die sowjetische Besatzungsmacht 1945 die Betriebsanlagen. In 270 Eisenbahnwaggons seien sie abtransportiert worden, schrieb Friedemund Madaus damals an einen Freund.

Sein Sohn Udo, der damals in Kriegsgefangenschaft war, weiß nicht, ob die Zahl stimmt. Aber er fest davon überzeugt, daß das, was in den folgenden Monaten geschah, nämlich die Enteignung der Madaus-Werke, "exzessives Unrecht" war, das nach der Wiedervereinigung hätte wiedergutgemacht werden müssen. "Was ist nicht im Laufe der Jahrzehnte alles von den Politikern geredet worden, im Bundestag und anderswo", erregt sich Udo Madaus heute. "Niemals werde man die Enteignungen, das kommunistische Unrecht anerkennen, hieß es immer wieder. Aber nach 1990 war plötzlich keine Rede mehr davon." Nüchtern, zurückhaltend und eloquent erzählt der feine alte Herr seine Geschichte, aber zwischendurch kann er plötzlich aufbrausen: "Das macht mich wahnsinnig!" Damit meint er vor allem die Haltung der Bundesregierung unter Helmut Kohl in den 90er Jahren. Der hatte damals erklärt, die Sowjetunion habe die Anerkennung der Enteignungen zur Bedingung für die deutsche Wiedervereinigung gemacht.

Für Udo Madaus ist das eine klare Lüge, und er kann unzählige Dokumente, Aussagen und historische Forschungen anführen, die das belegen sollen. Für ihn stellt sich die Sache so dar: Von einem Dieb (nämlich der DDR) übernahm ein Hehler (der bundesdeutsche Fiskus) gestohlene Ware und verkaufte sie mit Hilfe seiner Gewährsmänner (der Treuhand), um mit dem Erlös die Schulden des Diebes zu tilgen. Wenn die Rechnung denn nur aufgegangen wäre und die Treuhand nicht große Verluste gemacht hätte. "Durch die Unwahrheiten der Bundesregierung ist mein Rechtsempfinden aufs Tiefste verletzt", sagt der Jurist, der viele Jahre ehrenamtlicher Richter beim Landgericht Köln war. Und diese Verletzung läßt ihn nicht ruhen. Im Juni 1990 schrieb er seinen ersten Brief an Bundeskanzler Kohl: "Ihrem Aufruf, die deutsche Industrie möge vordringlich in der DDR investieren, würden wir gern nachkommen, wenn den Familien Madaus sowohl ihr Firmenbesitz als auch ihr privater Hausbesitz zurückgegeben würde", heißt es darin. "Wir bitten Sie, den unrechtmäßigen Enteignungen ihre Aufmerksamkeit zu widmen." Das klang noch ganz höflich und zurückhaltend. Doch der Ton wurde im Laufe der Jahre schroffer. Seither schreibt Udo Madaus nämlich ununterbrochen Briefe, manchmal ziemlich geharnischte. An Kohl, an Lothar de Maiziere, Schäuble, Waigel, an Bundespräsidenten, Bundesverfassungsrichter und an alle, die irgendwie mit dem Thema befaßt waren, sind oder nach seiner Ansicht sein sollten. Allein über 30 Mal hat er an alle Bundestagsabgeordneten geschrieben. Und heute muß er feststellen: "Ich bin ohne Antwort geblieben. Jedenfalls ohne befriedigende Lösung." Acht Dokumentationen hat Madaus zum Thema Enteignung zusammengestellt. Er hat Quellen studiert, Essays verfaßt und Interviews komponiert. Weil Schäuble, de Maiziere & Co nicht selber mit ihm sprechen, hat er Fragen aufgeschrieben und mit zusammengesuchten Zitate der Politiker selbst beantwortet.

Seine Kreativität ist kaum zu bremsen: Anläßlich der Verabschiedung des Bundespräsidenten Roman Herzog 1999 erfand er ein Programm für den Festakt. Als "Enteignungsouvertüre gibt es da eine "Sinfonische Dichtung mit Pauken und Trompeten, Leitung: Wolfgang Schäuble, Solist: L. de Maiziere (2. Geige)", Theo Waigel und Helmut Kohl halten selbstbezichtigende Festvorträge zum Thema "Politik geht bei uns vor Recht", und zum Abschluß wird die "Rückgabe des konfiszierten Eigentums" bekannt gegeben. Mit solch kuriosen Schriftstücken hat Udo Madaus auch sein Buch garniert, das 2002 unter dem Titel "Allianz des Schweigens" erschien. Er weiß, wie schwer es ist, dieses von ihm ausgemachte Schweigekartell aus Politik und Rechtssprechung zu knacken. Und er weiß, daß er manchen gehörig auf die Nerven geht mit seiner Hartnäckigkeit. "Laß' doch die alte Geschichte ruhen", sagen ihm viele. Er solle aufhören, sich als Michael Kohlhaas aufzuspielen, der gegen alles zu Felde zieht. Aber sein Thema ist plötzlich wieder aktuell, es gibt den Prozeß um die Enteignungen in Straßburg, es gibt Schlagzeilen und ein Aufsehen erregendes Buch der jungen CDU-Politikerin Paff rath aus Nordrhein-Westfalen, die genauso argumentiert wie er. "Ich stehe nicht allein", weiß Madaus. Neulich haben sie im Kölner Stadtanzeiger sogar wieder mal einen seiner vielen Leserbriefe gedruckt.

Enteignung gegen den Willen der Sowjets?

Seinen Fall sieht der Unternehmer im Unruhestand als ganz speziellen "Enteignungsexzeß". Denn die Firma Madaus sei nicht auf Befehl der sowjetischen Militäradministration, sondern sogar gegen deren Willen auf Betreiben "der damaligen, SED-gesteuerten Landesregierung in Dresden" enteignet worden. Weder sei dem Unternehmen eine besondere Verbindung zu den Nationalsozialisten vorgeworfen worden, noch habe Madaus auf der so genannten Liste A gestanden, anhand der 1946 per Volksentscheid über Enteignungen entschieden wurde.

Noch 1945 war die Produktion im Werk wieder aufgenommen worden, es wurde unter anderem an Penicillin-Produkten gearbeitet, die damals dringend gebraucht wurden. Dennoch wurde der Betrieb dann enteignet. Für Udo Madaus steht fest: "Es waren vier Mitglieder des Betriebsrates, der kommunistische Kern, die auf Betreiben der SED die nachträgliche Konfiskation betrieben haben." Mit gefälschten Unterlagen hätten sie seinen Vater, der nicht der NSDAP angehört hatte, als "Nazi- und Kriegsverbrecher" diffamiert. Auch von Wirtschaftssabotage war die Rede, weil die Firma in West und Ost agierte. Friedemund Madaus, gegen den ein Haftbefehl vorlag, flüchtete 1947 in den Westen, wohin seine Brüder schon vor Kriegsende gezogen waren.

Das Radebeuler Stammhaus wurde Volkseigentum und ging später mit anderen Betrieben im VEB Arzneimittelwerk Dresden auf. "Unser Name wurde ausradiert, selbst auf den Feuerwehrschläuchen", sagt Udo Madaus. Er selbst kehrte erst später aus der Kriegsgefangenschaft zurück zur Familie in Westdeutschland. Schnell entwickelte sich Madaus dort zu einer großen Firma, auch mit Hilfe von Fachleuten, die ebenfalls Radebeul verlassen hatten.

Natürlich suchte Dr. Udo Madaus nach 1990 den Rechtsweg, zog vor das Bundesverfassungsgericht und scheiterte. Auch in einem zweiten Verfahren. Seine Anwälte hatten jahrelang Unmengen von Unterlagen und Aussagen zusammengetragen. "Aber die wurden überhaupt nicht berücksichtigt", klagt er. Also machte sich Udo Madaus erneut auf den Weg durch die Instanzen. Derzeit liegt der Fall noch beim Verwaltungsgericht in Dresden.

"Es geht nicht darum, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und den Zustand von einst wieder herzustellen", sagt er, "es geht darum, die Opfer zu rehabilitieren und ihnen zurückzugeben, was noch in Staatshand und daher verfügbar ist, ohne die gutgläubig erworbenen Rechte von ehemaligen DDR-Bürgern zu beeinträchtigen." Bei der Übernahme der AWD durch die Degussa und bei der Ausgliederung kleiner Unternehmen stellte sich Madaus keineswegs quer, machte Konzessionen. Aber das Gemälde des Malers Hübschmann, das früher im Büro seines Vaters hing, das wollte er unbedingt haben. Es hängt mittlerweile in seinem Büro in Köln. Jetzt geht es noch um etwa ein Drittel des früheren Eigentums der Familie: darunter das ehemalige Haupthaus und Brachgelände der Firma an der Gartenstraße gleich gegenüber vom Bahnhof Radebeul-Ost, das so genannte Krone-Gelände, ein Grundstück gegenüber von Schloß Wackerbarth, aber auch das Wohnhaus seines Vaters am Großen Garten in Dresden. Angebote, das ehemalige Eigentum zurückzukaufen, verbunden mit Investitionsverpflichtungen, lehnte Madaus ab.

Dem Onkel haben sie eine Straße gewidmet

Er will sein Recht. "Aber wir würden durchaus investieren. Wenn die Stadtverwaltung uns sagt, wo Radebeul der Schuh drückt, würden wir uns schon etwas einfallen lassen", sagt er generös. Sein Kontakt zum Rathaus sei sehr gut. Ein bißchen klingt das wie der Besuch des wohlhabenden Onkels, der zurück in die Heimat kommt. Für Udo Madaus wäre es wohl eher ein persönlicher Triumph. "Unser Name hat in Radebeul immer noch einen guten Klang", sagt er stolz. Sie haben sogar eine Straße nach seinem Onkel Gerhard benannt, das war der mit dem Echinacin. "Das fand ich toll", sagt Neffe Udo.

*Sächsische Zeitung* Freitag, 2. April 2004