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Schwarzbuch

Bloß kein Erinnerungskombinat.....von Thomas Hofmann ( Freitag vom 23-03-07)


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TUNNELBLICK DER HISTORIOGRAPHIE (I)

*Unhaltbare Zustände in der öffentlichen Darstellung der DDR-Gesellschaft. Eine zaghafte Kurskorrektur ist vorerst gescheitert

Es liegt wohl an der Götterdämmerung der US-Administration, dass sich die Abwendung westlicher Neocons von ihren eigenen Thesen derart häuft, obwohl diese dem Publikum noch vor kurzem als unbezweifelbar dargestellt wurden. Anderthalb Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung riecht es nach dem Anbruch neuer Zeiten. Zu den einst gefeierten intellektuellen Mandarinen des Neokonservatismus, die sich inzwischen revidiert haben, zählt der Politologe Francis Fukujama. 1990 hatte er die nach dem Ende des Sowjetblocks erwartete zeitlose Dominanz eines marktradikalen Chiliasmus in dem viel zitierten Diktum vom "Ende der Geschichte" prägnant formuliert und damit der "neuen Ära" eine Dachzeile verschafft. Heute sähe er das anders, ließ er kürzlich wissen.

In der Erwartung, die Menschheit habe mit dem westlichen Liberalismus ihr Endstadium erreicht, ergab sich auch in den Referenzsystemen der realhistorischen Entwicklung ein charakteristischer Wandel. Vor allem in den mit Zeitgeschichte befassten Sparten des Kulturbetriebes führte dies zu einer Abkehr von der an einzelnen Ereignissen orientierten Historiographie mit ihren Fragestellungen nach Chronologie, Genesis und Kontext. Der Blick wurde typologisch-generalisierend und richtete sich - im Stil der Politikwissenschaft - modellhaft-abstrakt auf Diktaturen, Totalitarismus und Imperien, jenseits des spezifischen Charakters singulärer Phänomene. Rückschau als Vergewisserung innerhalb der Bewegung in eine offene Zukunft war "out", denn die Zukunft schien definiert.

Dies zeigte sich nicht zuletzt beim öffentlichen Umgang mit der deutschen Geschichte seit 1945, die nach der Maueröffnung vorzugsweise unter dem Rubrum der "DDR-Aufarbeitung" eine gewaltige Konjunktur erlebte. Nach 1989 ließ das - befeuert durch dreistellige Millionenbeträge pro Jahr, die man beispielsweise der "Gauck-Behörde" zur Verfügung stellte - einen neu-alten Zweig der Zeitgeschichte auferstehen: Die "vergleichende Diktaturforschung", die im Rekurs auf eher holzschnittartige Varianten der "Totalitarismustheorie" der fünfziger Jahre mit der SED-Herrschaft die der NSDAP gleich mit zu behandeln vorgab (oder umgekehrt).

Die neuen und alten Anhänger der Gleichsetzung von Rot und Braun forderten ostentativ eine neue Akzeptanz der Totalitarismustheorie, die in den achtziger Jahren im Westen nur noch wissenschaftsgeschichtlich von Interesse war. Dass diese Theorie nun bei der mit Milliardenaufwand betriebenen "DDR-Aufarbeitung" revitalisiert wurde, ist die Ursache für endlose und für Außenstehende kaum noch durchschaubare Konflikte um Museen und Gedenkstätten, Forschungs- und Bildungseinrichtungen vorrangig in den "neuen Ländern" und Berlin. Sie bewirkt als retardierendes Moment die bildungspolitische Fruchtlosigkeit der "DDR-Aufarbeitung" in Ost und West, welche in empirischen Studien immer wieder konstatiert wird. Und sie macht Zeitgeschichte in ihren wissenschaftlichen und kulturell-bildenden Ausformungen noch stärker als bisher zum Appendix eines vermachteten, staatspolitischen Überbaus, der über das Instrument der Mittelvergabe inhaltliche Akzentuierungen erzwingt, die wiederum auf parteipolitisch ausgehandelte Formelkompromisse zurückgehen. Diese Mechanismen sollen im folgenden an diesbezüglichen Konflikten aufgezeigt werden, mit denen die Öffentlichkeit beschäftigt war und ist.

Heerschau in Weimar

Im Oktober 2005 wurde in Weimar von der dortigen Ettersberg-Stiftung, einem stramm konservativen Think Tank der Thüringer Landesregierung, in Kooperation mit der Bayrischen Landeszentrale für politische Bildung, eine pompöse Tagung ausgerichtet. Es trafen sich etwa 200 überwiegend konservative Historiker mit der versammelten Prominenz der ehemaligen DDR-Bürgerrechtsbewegung (Gauck, Birthler, Neubert, Nooke, Hilsberg, Meckel, Vaatz) zum Thema Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur. Bereits die Einladung ließ keinen Zweifel, was den Teilnehmerkreis besonders umtrieb: "Die Erinnerung an die SED-Diktatur ist bis heute defizitär. Der öffentliche Diskurs über die kommunistische Herrschaft blieb im Schatten der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und dem Holocaust ...". Dieses Leitmotivs nahm sich auch Hans-Joachim Veen, Vorsitzender der Ettersberg-Stiftung, in seiner Begrüßung an: Den zentralen Bezugspunkt der deutschen Erinnerungskultur stellten seit den siebziger Jahren in der alten Bundesrepublik die NS-Diktatur und der Holocaust dar. Daran habe sich nach der Wiedervereinigung nichts Grundlegendes geändert, im Gegenteil: Mit dem im Osten verbreiteten "antifaschistischen Impetus der DDR" habe diese westdeutsche Fixierung weiter an Bedeutung gewonnen.

Bereits hier wurde deutlich: Die DDR-Aufarbeiter hatten sich vom Ende des SED-Staates offenbar veränderte Themensetzungen der Zeitgeschichte erhofft. Es störte sie, mit ihren Gegenständen auch im vereinten Deutschland "im Schatten" der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus verblieben zu sein.

Über den Verlauf dieser Weimarer Tagung existiert ein scharfsinniger Bericht von Franziska Augstein in der Süddeutschen Zeitung vom 4. November 2005. Die Autorin schreibt über "den konzertierten Versuch, die deutsche Geschichte umzuschreiben" und wundert sich zugleich darüber, was sich in Weimar vor ihren Augen und Ohren abspielt: "Die wichtigsten Repräsentanten des DDR-Erinnerungswesens trafen hier zusammen und die von der Geldnot provozierten Streitigkeiten in der Gemeinde ... traten offen zutage. Da Fördermittel stets begrenzt sind, legten viele Mitspieler auf dem Feld der DDR-Erinnerungskultur es darauf an, das Gedenken der Nazi-Verbrechen zugunsten der Erinnerung an die SED-Taten zurückzudrängen. Das konnten sie (bisher) nicht durchsetzen ..."

Franziska Augstein registrierte einen banalen, zumeist hinter schönen Worten verschleierten Sachverhalt - in den manchmal hochgelehrten, immer aber hypermoralischen Debatten um Kommunismus und Nationalsozialismus, KZ und Gulag, rechte und linke Diktaturen, Stasi und Gestapo ging und geht es immer auch um Geld - um viel Geld. Die heutige Birthler-Behörde ist - was im öffentlichen Diskurs kaum bewusst ist - auch in ihrem abgespeckten Umfang der größte öffentliche Arbeitgeber im Osten. Mit den von ihr in 15 Jahren verbrauchten Steuergeldern ließen sich ohne weiteres ein bis zwei mittelgroße Universitäten finanzieren.

Auch hier benennt Franziska Augstein unter dem Eindruck von Weimar den entscheidenden Grund für die immer wieder beklagte bildungspolitische Wirkungslosigkeit der DDR-Aufarbeitung in Ost und West: "In den neunziger Jahren feierte die Totalitarismustheorie Urstände - nicht obwohl, sondern weil sie die Frage nach fundamentalen Unterschieden zwischen linken und rechten Diktaturen a priori mit Nein beantwortet: Stets handelt es sich um Totalitarismen. Dass Regime und Diktaturerfahrungen verschieden sind, lässt sich mit der Totalitarismustheorie nicht darstellen. Mit ihr ist eine differenzierte Betrachtung der SED-Herrschaft nicht möglich. In der Arztausbildung entspräche dies der Beschränkung auf das Credo: Ich bin gegen Krankheit."

Eine Art "Krawall-Fraktion"

Die Weimarer Konferenz erschien wie der neu geschriebene Prolog zu einem Schauspiel aus den Fünfzigern, das bereits in den neunziger Jahren beim Publikum durchgefallen war und nun erneut auf die Bühne sollte. Im Vorjahr ließ sich das in höchst einprägsamer Weise beobachten, als die Empfehlungen einer Kommission unter Vorsitz des in Potsdam lehrenden Historikers Martin Sabrow zur Diskussion standen. Ein Gremium, das in der Endphase der rot-grünen Bundesregierung eingesetzt worden war, um mehr "Professionalität" und "Effektivität" in der "DDR-Aufarbeitung" zu gewährleisten. In der Umgebung von Kanzler Schröder, der seinen niedersächsischen Wählern einst erklärt hatte, "wir mussten sie (die Ostdeutschen) ja nehmen, wir konnten sie ja nicht den Polen geben", war aufgefallen, dass die von Helmut Kohl den DDR-Bürgerrechtlern treuhänderisch übereignete "DDR-Aufarbeitung" doch sehr viel Geld kostete, ohne dass die Ergebnisse überzeugend ausfielen.

Entstanden waren zwar seit 1989 diverse Detailstudien, die sich meist auf die Repressionsapparate des SED-Staates und hier vor allem das Ministerium für Staatssicherheit konzentrierten. Aber gerade in der Enge seiner Fragestellungen vermochte dieses Schrifttum kein plausibles Bild der DDR-Realität zu entwerfen, in dem sich die Ostdeutschen mit ihren Lebenserfahrungen wiederfinden konnten. Hinzu kam, dass die Laienhistoriker aus der DDR-Oppositionsszene mit Blick auf ihre Geldgeber eine parteipolitische Aufladung der Nachkriegsgeschichte förderten, die eng an die Muster des ebenso verbalradikalen wie proklamatorischen Antikommunismus anschloss, der einst in Westdeutschland üblich war. Die deutsch-deutschen Läuterungsprozesse, die zur Entspannungspolitik der siebziger und achtziger Jahre geführt hatten, gerieten erneut in die Nähe der Kumpanei mit Gewaltherrschern. Zur Seite standen den Aktivisten des Herbstes ´89 dabei Renegaten der 68er Bewegung, vorzugsweise aber stramm konservative Zeithistoriker aus dem Westen, die mit ihren verstaubten Interpretationsrastern dort kein Publikum mehr fanden, im orientierungslosen Osten aber auf dankbare Zuhörer stießen.

Die so entstandene Historiographie stellte sich als ein seltsames Gemisch aus kleinteiliger Regionalforschung dar, kombiniert mit einem trompetenden Antitotalitarismus. Es blieb ausgeblendet, dass die DDR Teil eines Arrangements der Protagonisten des Kalten Krieges gewesen war, das selbst in den härtesten Phasen der Konfrontation im Prinzip von keiner Seite in Frage gestellt wurde.

Überdies war die Unzufriedenheit mit den hohen Kosten und unzureichenden Wirkungen der Arbeit in der Gauck-Behörde sowie der um sie herum wildwüchsig entstandenen Gedenkstätten, Stiftungen und Institute so groß, dass die damalige Kulturstaatsministerin Weiß den Auftrag erhielt, Veränderungsvorschläge entwickeln zu lassen. Die von ihr berufene "Sabrow-Kommission" aus Historikern, Museumsfachleuten und Bürgerrechtlern arbeitete ein gutes Jahr lang, bevor sie im Mai 2006 ihre Empfehlungen vorstellte.

Unterdessen hatte sich die Geschäftsgrundlage verändert und Rot-Grün der großen Koalition weichen müssen, deren Kulturstaatsminister nun Bernd Neumann hieß und ein altes CDU-Schlachtross aus dem Umkreis Helmut Kohls war. Zum Stellvertreter wurde Helmut Schäfer, zuvor Direktor des Bonner "Hauses der Geschichte", berufen. Für diese beiden Herren, die sich in Sachen "DDR-Aufarbeitung" lieber von Hubertus Knabe, dem Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, den Politologen Manfred Wilke und Jochen Staadt vom "Forschungsverbund SED-Staat" sowie vom Nolte-Verehrer Horst Möller (Institut für Zeitgeschichte in München) beraten ließen, einer Art "Krawall-Fraktion", war die Sabrow-Kommission ein lästiges Kuckucksei der rot-grünen Ära.

Da jedoch die SPD weiter regierte, musste man sich schon wegen der Koalitionsarithmetik mit deren Empfehlungen befassen. Bereits hier wird erkennbar, wie sehr für die Öffentlichkeit zelebrierte Inhaltskontroversen durch einen staatspolitischen Überbau und parteipolitische Arrangements präformiert sind, seit die großen Institutionen der Geschichtskultur am Gängelband des ansonsten so sehr gerühmten Kulturstaatsministeriums hängen.

Die DDR war böse

Die Vorschläge der Sabrow-Kommission, über die im konservativen Milieu nach bewährtem Muster und im Betroffenheitsgestus bereits polemisiert wurde, bevor sie veröffentlicht waren, laufen im wesentlichen auf zwei Maßnahmen hinaus: Organisatorisch soll durch einen "Geschichtsverbund" der institutionelle Wildwuchs von Stiftungen, Gedenk- sowie Forschungsstätten zum Thema DDR eingedämmt und durch eine vorsichtige Zentralisierung dem inhaltlich-didaktischen Dilettantismus entgegengewirkt werden, der diese Einrichtungen häufig auszeichnet. Schließlich haben sie nicht selten "die Aura eines Heimatmuseums, das gern Geisterbahn wäre" (Franziska Augstein). Es geht stets um die moralische Botschaft: "Die Stasi war böse, die DDR war böse."

Inhaltlich rät denn auch die Sabrow-Kommission, die DDR-Darstellung nicht weiterhin auf deren Repressionsapparate zu beschränken, sondern sehr viel mehr auch Aspekte des Alltags zu zeigen. Denn "die spannungsreiche Wechselbeziehung von Herrschaft und Gesellschaft, zwischen Akzeptanz und Auflehnung, missmutiger Loyalität und Nischenglück" werde durch den Tunnelblick auf die Staatssicherheit nicht deutlich.

Wie nicht anders zu erwarten, wurden diese Vorschläge frontal als geschichtswissenschaftliche "Verharmlosung der DDR" attackiert. Kulturstaatsminister Neumann selbst appellierte an subtil anti-intellektuelle Instinkte seiner Klientel, indem er lauthals befürchtete, eine professionellere DDR-Aufarbeitung werde eine "blutleere Einrichtung zur bloßen Wissensvermittlung werden". Seine Entourage ging noch mehr zur Sache. Vor einer Anhörung im Bundestag beschwor Hubertus Knabe die Gefahr einer Mediatisierung des Gedenkens in einem "Erinnerungskombinat" für "staatlich geförderte Ostalgie". Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin wütete in der FAZ gegen eine "einseitige" Zusammensetzung der Sabrow-Kommission. Und Horst Möller, der erwähnte Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, wetterte gegen die stärkere Beachtung des DDR-Alltages - die Stasi sei charakteristischer für die DDR gewesen als beispielsweise die Kinderkrippen. Daher drohe ein "weichgespültes DDR-Bild" das "nicht funktionieren" (!) könne, wenn man Sabrow folge.

Auf jeden Fall hat die Debatte den Blick geschärft für unhaltbare Zustände in der öffentlichen Erinnerung an die SED-Herrschaft, die sich seit 1989 urwüchsig und angeheizt durch enorme Geldbeträge entwickelt haben. Man sollte die Vorschläge der Kommission freilich nicht überschätzen. Die Frage, ob die Geschichte der DDR unter Abstraktion von dem die deutsche Zweistaatlichkeit überformenden Kalten Krieg überhaupt angemessen behandelt werden kann, wurde von ihr nicht beantwortet. Die schwärende Legitimationskrise der Eliten des vereinigten Deutschlands dürfte bald dazu führen, dass wieder verstärkt kritische Fragen zur westdeutschen Wirtschaftswunder-Republik gestellt werden, die vielen Ostdeutschen jahrzehntelang als nicht zu hinterfragendes "Erfolgsmodell" dargestellt wurde.

(wird fortgesetzt)

Thomas Hofmann, geboren 1952, lebt im Hunsrück, ist Germanist und Historiker, er war u. a. von 1989 bis 1991 Kulturbeauftragter im hessischen Vogelsbergkreis und von 1991 bis 1994 Direktor der Gedenkstätte Buchenwald.

 

FREITAG – Die Ost-West-Wochenzeitung (23.03.2007)