WiROZ

Schwarzbuch

Die Akte „Ostdeutsches Agrarland“ von K. P. Krause- 9. März


| |

 Eine faktisch rechtsfreie Zone - Gesetze ignoriert oder gebrochen

Die politische Führungsschicht in Bund und Ländern schustert ostdeutsches Agrarland immer noch den relativ wenigen agrarischen Großbetrieben zu. Obendrein geschieht dies zu verbilligten Preisen. Das jedoch verstößt gegen das EU-Subventions- und Diskriminierungsverbot und ist daher unzulässig. Die Masse der rein bäuerlichen Betriebe (rund 80 Prozent) geht dabei so gut wie leer aus. Eine Dokumentation darüber hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) jetzt am 9. März vor Journalisten in Berlin vorgestellt. Autor der Dokumentation ist der mecklenburgische Landwirt, habilitierte Agrarwissenschaftler und AbL-Sprecher Jörg Gerke. Einen Monat zuvor hat Gerke sie schon an den Agrarkommissar der Europäischen Union, Dacian Ciolos, geschickt. Ciolos soll Gerkes Beschwerde wieder aufgreifen, die er 2009 an die EU-Kommission gerichtet hatte, bislang vergebens.

Verbilligtes Agrarland nur einer Minderheit zugeschanzt

Unter der Überschrift „Ostdeutsche Bodenpolitik nach 1990“ beschreibt und kritisiert Gerke, wie Politik, Justiz und Verwaltung zusammenspielen, um das Agrarland einer Minderheit zuzuschanzen. Dabei stützt er sich auch auf sechs interne Papiere, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Aus ihnen geht hervor, dass die zuständigen Bundesministerien (Finanzen und Landwirtschaft) und die zuständige staatliche Treuhand-Nachfolgegesellschaft BVVG in der Öffentlichkeit das Gegenteil von dem behaupten, was bei der Landverteilung tatsächlich geschieht. Wie Gerke schreibt, sind durch verbilligte Verpachtung und verbilligten Verkauf von Agrarland wenige tausend Personen in Ostdeutschland mit Subventionen jeweils in Millionenhöhe bedacht worden. Diese staatlichen, flächengebundenen Subventionen hätten einen zweistelligen Milliardenbetrag erreicht und sich bei einzelnen Personen zu einem zweistelligen Millionenbetrag akkumuliert.

Michael Beleites: Eine Potenzierung des Unrechts

Unterstützt wurde Gerkes Auftritt in Berlin vom einstigen DDR-Bürgerrechtler Michael Beleites, der von 2000 bis 2010 Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde in Sachsen war: Mit der von der BVVG umgesetzten staatlichen Flächenvergabepolitik verbinde sich die Erblast Bodenreform mit der Erblast Kollektivierung zu einer gegenseitigen Potenzierung des Unrechts, die zu einer Perversion der Agrarstruktur führe. „Was die DDR noch nicht zu Ende gebracht hatte, wird nun vollendet: Die 1945 von den Gutsbesitzern enteigneten Flächen werden heute dafür verwendet, um die Begünstigten der Kollektivierung mit riesigen Eigentumsflächen auszustatten. Diese haben nun einen Grundbesitz, der den jener Gutsbesitzer und ‚Junker’, die von den Kommunisten als zu groß befunden und enteignet wurden, etwa um das Zwanzigfache übertrifft.“

Beleites contra Sachsens Agrarminister Kupfer

Beleites hat auch ein Vorwort zu der Gerke-Dokumentation geschrieben. Darin knüpft er an eine Äußerung des sächsischen Landwirtschaftsministers Frank Kupfer an. Dieser habe bei der Agrarministerkonferenz vom 28. Oktober 2011 die Sonderposition von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verteidigt und sich dagegen gewehrt, die flächenbezogenen Agrarsubventionen nach oben zu begrenzen. Solche Obergrenze, so Kupfer, würde zur „Benachteiligung der gewachsenen Agrarstrukturen“ in den ostdeutschen Bundesländern führen.

Ostdeutsche Agrarstruktur Ergebnis blanker Gewalt

„Gewachsen“, hält ihm Beleites entgegen, „sind die Besonderheiten der ostdeutschen Agrarstrukturen ganz und gar nicht. Sie verdanken sich der blanken Gewalt und der flächendeckenden Zwangsmaßnahmen einer menschenverachtenden Diktatur. Die Bodenreform (1945/46), die Kollektivierung (1952-60) und die Industrialisierung (1970er Jahre) waren drei Teile desselben Plans und sie dienten einem zentralen Ziel der kommunistischen Ideologie: der kompletten Auslöschung des Berufsstandes der freien Bauern. Der kommunistische Klassenkampf gegen die Bauern in der DDR war Bestandteil eines Systemverbrechens, dem in der Sowjetunion und in China viele Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Und eine „Benachteiligung“ derer, die von diesen Verbrechen profitierten und profitieren, hat es auch seit der 1989er Revolution nicht gegeben. Im Gegenteil. Die Begünstigten der SED-Agrarpolitik wurden in den letzten zwanzig Jahren weiter begünstigt – und die von den Kommunisten Geschädigten wurden weiter systematisch benachteiligt.“

Die Dominanz der agrarindustriellen Monostruktur befestigt

Doch gehe es dabei nicht nur, wie Beleites weiter schreibt, um bestimmte Personengruppen, sondern auch darum, die Dominanz einer agrarindustriellen Monostruktur zu befestigen, die im Osten Deutschlands zu einer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verarmung der Dörfer sowie zu einer beispiellosen Einebnung der bäuerlichen Kulturlandschaften geführt habe. Auch nach 1990 seien die ostdeutschen Agrarstrukturen keineswegs im Sinne einer Gesundung „gewachsen“. Nach dem Ende der DDR seien die sozialistisch geprägten Agrarstrukturen absichtlich weitgehend erhalten worden. Beleites wörtlich: „Wie verlogen die offiziellen Verlautbarungen ostdeutscher Agrarpolitiker und ihrer westlichen Verbündeten waren und sind, zeigt der Blick auf die konkrete Situation. Man sprach von einer breiten Eigentumsstreuung der landwirtschaftlichen Nutzflächen und sorgte hinter den Kulissen für eine Konzentration der Flächen in den Händen einer kleinen Minderheit.“

Kommunistischer Klassenkampf gegen die Bauern nach 1990 fortgeführt

Für Beleites stellt sich Jörg Gerke, obwohl er aus dem Westen stamme, in die Tradition der ostdeutschen Bürgerrechtler: „Er ist derjenige, der das Schweigen gebrochen hat, das darüber ausgebreitet wurde, wie der kommunistische Klassenkampf gegen den Bauernstand nach 1990 fortgeführt wurde und welch verheerende Folgen die fortschreitende Besserstellung der Begünstigten der SED-Agrarpolitik bis heute hat. Der Mut, den er aufgebracht hat, um gegen die große Koalition aus Überzeugungstätern, Profiteuren, Abhängigen, Verführten und Befangenen der kommunistischen Verbrechen anzutreten, ist nicht geringer zu schätzen als jener Mut, den wir aufzubringen hatten, wenn wir in der DDR versuchten, zu einem damaligen Tabu-Thema eine kritische Öffentlichkeit herzustellen.“

Ein neuer Versuch, damit die EU-Kommission einschreitet

Gerke selbst nennt seine Dokumentation „Ausarbeitung“. Aber sie liest sich wie eine Beschwerde und bezieht sich auch auf seine Beschwerde, die er 2009 an die EU-Kommission gerichtet hatte (Aktenzeichen AGR 015 057). Sie zielte darauf ab, die selektive Subventionierung von wenigen, in der Regel sehr großen Betrieben gegenüber der Mehrheit der ostdeutschen Betriebe zu begrenzen, die von der staatlichen Agrarlandverteilung ausgeschlossen wurden. Doch sie hatte nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Gerkes Dokumentation jetzt ist deshalb eine Nachreichung und ein neuer Versuch, die EU-Kommission gegen das unrechtmäßige, auch gesetzeswidrige Treiben in der ostdeutschen Landwirtschaft in Bewegung zu setzen.

Fiskalische Bereicherung an verstaatlichtem Privateigentum

Das Agrarland, um das es hierbei geht, hat bis 1945 privaten Landwirten gehört. Aber die sind während der sowjetischen Besatzungszeit, wenn sie 100 Hektar und mehr besaßen, von den damals herrschenden Kommunisten als „Klassenfeind“ politisch verfolgt worden. Einen Teil ihres Landes verteilten diese an vertriebene Bauern aus den deutschen Ostgebieten („Umsiedler“) und an Landarbeiter („Neusiedler“), dargestellt als Bodenreform; der große Rest wurde verstaatlicht und “volkseigen” genannt. Seit der deutschen Vereinigung verkauft der deutsche Staat das Land (ursprünglich mehr als 1,1 Millionen Hektar), um sich fiskalisch daran zu bereichern. Mit dem Verkauf oder zunächst auch mit der Verpachtung beauftragt ist jene staatliche BVVG (Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft mbH in Berlin).

Nach 1992 noch eine zusätzliche Enteignung

Wie Gerke schreibt, befanden sich 1990 mit der Vereinigung beider deutscher Teilstaaten, regional unterschiedlich, zwischen 40 und 55 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in öffentlicher Hand, vor allem in Hand des Bundes und der fünf neuen Bundesländer. Und nach 1992 seien zusätzlich noch die Erben von Bodenreformland enteignet worden, mit Zustimmung aller damals im Bundestag vertretenen Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und PDS. Dadurch sei ein zusätzlicher Pool an Agrarland in das Eigentum der neuen Bundesländer überführt worden.

Erfolgreich, weil Verwaltung und Gerichte beim Unrecht mitspielten

Die politischen Akteure aus allen Parteien in West- und Ostdeutschland wären, wie Gerke weiter schreibt, „in ihrem Sinne nicht erfolgreich gewesen, wenn nicht maßgebliche Gerichte, von ostdeutschen Verwaltungsgerichten über das Bundesverfassungsgericht bis zu den Europäischen Gerichten in Luxemburg und Straßburg, sich politischen Imperativen unterworfen und teilweise unverständliche Urteile gefällt hätten…. Sie wären auch nicht in ihrem Sinne erfolgreich gewesen, wenn Verwaltungen, ausgehend von den Ämtern für Landwirtschaft im Osten bis zur Generaldirektion Landwirtschaft bei der EU-Kommission in Brüssel, ihren Aufgaben und Pflichten bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben und bei der Kontrolle nachgekommen wären.“ Zwar habe es in den letzten zwanzig Jahren politische und rechtliche Anstrengungen gegeben, diese Bodenpolitik zu ändern. Aber die Abwehr dieser Anstrengungen durch die ostdeutschen Landesregierungen, durch die politischen Parteien, durch Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht, Berliner Staatsanwaltschaft und EU-Kommission habe die Fehlentwicklungen zementiert.

Bäuerliche Betriebe und „Alteigentümer“ massiv benachteiligt

Die BVVG hat ihre Arbeit am 1. Juli 1992 begonnen. Bis 1996 sind ihr – nach ihrer Auskunft an mich vom 26. April 2010 - insgesamt 1,824 Millionen Hektar ostdeutsches Agrarland zum „Verwerten zugeordnet“ worden. Mit dem bei weitem meisten Land ist das inzwischen geschehen. Teils wurde es an gesetzlich Berechtigte zurückübertragen, zu denen die Alteigentümer aber nicht gehören sollen, teils unentgeltlich dem Naturschutz überlassen, teils verkauft, und das bisher nicht verkaufte Land wird weiterhin verpachtet. Es handelt sich, wie Gerke auf Befragen sagte, um noch rund 250 000 Hektar. Die Masse der BVVG-Flächen ist also schon an neue Eigentümer verkauft worden. Umso mehr ist das Agrarland in den ostdeutschen Bundesländern ein großer Konfliktstoff. Denn bäuerliche Betriebe und „Alteigentümer“ wurden und werden mit ihren Erwerbswünschen massiv benachteiligt, die Großbetriebe der LPG-Nachfolger in Hand einstiger DDR-Agrarkader massiv begünstigt.

Verstoß gegen die gesetzliche Vorgabe

Damit wird gegen die gesetzliche Vorgabe, wie sie im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) als oberstes Ziel vorgesehen ist, verstoßen: nämlich diejenigen der neuen Agrarbetriebe zu fördern und zu stabilisieren, „deren Inhaber selbständig wirtschaftende und persönlich haftende Landwirte sind“. Ebendies sind die bäuerlichen Betriebe (Wiedereinrichter, Neueinrichter, Alteigentümer), nicht aber sind es die agrarischen Großbetriebe in Form von Kapitalgesellschaften wie AG, GmbH, eG oder GmbH & Co. KG. Dieses vorgegebene Ziel wurde und wird, wie Gerke an den EU-Agrarkommissar schreibt, „vollständig verfehlt“.

Das geraubte Eigentum nicht zurückgegeben

Diese Großbetriebe sind meist Nachfolgeunternehmen der früheren Landwirtschaftlichen DDR-Produktionsgenossenschaften (LPG-Nachfolger). Sie befinden sich seit der deutschen Wiedervereinigung von 1990 in der Hand von ehemaligen DDR-Agrarkadern sowie von westdeutschen Industriellen und Agrarfunktionären. Die bäuerlichen Betriebe dagegen werden durchweg von sogenannten Wieder- oder Neueinrichtern bewirtschaft, darunter auch einige frühere Eigentümer-Familien, die zwischen 1945 und 1949 von ihren Höfen durch die damalige kommunistische Herrschaft vertrieben und enteignet worden sind („Alteigentümer“). Doch ist es nur wenigen Alteigentümern gelungen, in die alte Heimat und auf die alte Scholle zurückzukehren und dort wieder Fuß zu fassen. Denn trotz Untergang der DDR hat ihnen der seit 1990 gesamtdeutsche Staat das geraubte Eigentum nicht zurückgegeben und alles Mögliche getan, um sie an einer wirtschaftlich tragbaren Rückkehr in die Landwirtschaft zu hindern.

Eine neofeudale Agrarstruktur – bewirkt durch den Staat

Als Großbetriebe gelten die mit über 500 Hektar. Ihr Anteil an allen ostdeutschen Agrarbetrieben beträgt 11,3 Prozent. Aber diese Minderheit bewirtschaftet – je nach ostdeutschem Bundesland – 65 bis 90 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Ihre Betriebe sind mehrfach so groß wie vor 1945 die Güter und Höfe der großen adligen und bürgerlichen Landwirte. Als Eigentümer der Güter und großen Höfe stehen diese teils noch heute - allesamt mit der verleumderischen Etikettierung „Junker“ versehen - am politischen Pranger. Durch die Einseitigkeit, mit der die staatliche BVVG das ihr „zugeordnete“ Land verkauft oder zunächst verpachtet, ist - vor allem im nördlichen Ostdeutschland - eine neofeudale Agrarstruktur entstanden, beherrscht von den dort politisch Mächtigen mit ihren agrarindustriellen Großbetrieben als „Junker“ im neuen Gewand. Als die einstigen LPG-Leitungen aus DDR-Zeiten, als die „roten Barone“, haben sie noch immer das Sagen. Sie haben es verstanden und verstehen es weiterhin, sich der meisten Flächen der verleumdeten einstigen „Junker“ zu bemächtigen. Sie baden in Subventionen und sonnen sich in der Unterstützung der politischen Führung und des Deutschen Bauernverbandes (siehe: http://kpkrause.de/?p=1350).

Angst vor „drohenden politischen Turbulenzen“

Gerke zitiert aus einem internen Arbeitspapier von 2009. Dort schreibt das Bundeslandwirtschaftsministerium (2009 CSU-geführt) an das Bundesfinanzministerium (BMF, 2009 SPD-geführt) im letzten Absatz: „Ich bin mir sicher, dass ein grundsätzlich neues Aufrollen der Privatisierungstätigkeit der BVVG auf Ebene der europäischen Institutionen auch den Interessen des BMF keinesfalls entsprechen wird. Die drohenden politischen Turbulenzen brauche ich an dieser Stelle nicht nochmals zu betonen.“ Diese Bemerkung, so Gerke, beschreibe das zwischen SPD- und CSU-geführten Ministerien bestehende grundsätzliche Einverständnis. Ferner offenbare es, „dass offenbar beide Ministerien und großen Parteien Respekt vor ‚drohenden politischen Turbulenzen’ haben. Große politische Turbulenzen aber drohen nur dort, wo große politische Fehlleistungen aufgebaut wurden. Schreiber und Adressat des Dokuments sind sich dieser großen politischen Defizite wohl bewusst“.

Vier Bereiche staatlichen Versagens

Wie groß das Versagen von Politik, Verwaltung und Rechtsprechung ist, dokumentiert Gerke für vier Bereiche. Der erste ist die Klage von Alteigentümern gegen die Enteignungen auch in der Landwirtschaft als Folge der „Boden- und Industriereform“ in der sowjetischen Besatzungszone 1945 bis 1949 vor dem Bundesverfassungsgericht. Der zweite ist die Beschwerde gegen den Umfang der Subventionierung bei der Verpachtung und beim Verkauf der BVVG-Flächen mit dem Ziel, die selektive Subventionierung von wenigen, in der Regel sehr großen Betrieben gegenüber der Mehrheit der ostdeutschen Betriebe zu begrenzen, die von der Verteilung dieser Flächen ausgeschlossen wurden. Diesen Ausschluss beschreibt Gerke – drittens – am Beispiel der Landwirtsfamilie Bienstein. Und viertens geht es um Gerkes Strafanzeige gegen die Spitze der BVVG bei der Staatsanwaltschaft Berlin wegen Veruntreuung.

Politische Täuschungen, gebrochene Grundsätze, vielfältige Willkür

Zu den heutigen ostdeutschen Großbetrieb-Agrarstrukturen schreibt Gerke: Um sie zu erreichen, „bedurfte es nach 1991 einer weiteren Vielzahl politischer Täuschungen, Aussetzung verabschiedeter oder vereinbarter Grundsätze, vielfältige Willkür in den ostdeutschen Behörden in allem was den landwirtschaftlichen Boden betrifft und nicht zuletzt der Willfährigkeit der ostdeutschen Justiz gegenüber den Großagrariern, seien es nun alte DDR-Agrarkader, externe Investoren oder westdeutsche Agrarfunktionäre. Gesetze wurden gebrochen oder einfach nicht angewendet, Verordnungen ignoriert, wenn es einer kleinen Gruppe privilegierter Gewinner der Wende diente. Und wenn dann bäuerliche Betriebe, Alteigentümerfamilien oder Erben von Bodenreformland einen verwaltungstechnischen oder juristischen Weg beschritten, um ihre vielfach berechtigten Ansprüche durchzusetzen, so bewegt man sich in eine faktisch rechtsfreie Zone hinein, die von ostdeutschen Verwaltungen und Deutschen Gerichten bis zur Generaldirektion Landwirtschaft der EU- Kommission (GD Agri) reicht.“

An die EU-Kommission mehrere tausend Beschwerden

Zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) von 1994 schreibt Gerke: Von Ende 1994 bis Mitte 1996 seien bei der EU-Kommission, wie von ihr bestätigt, mehrere tausend Beschwerden eingegangen. Diese große Zahl sei verständlich, wenn man bedenke, „dass das ausdrückliche Ziel des Gesetzes die Förderung von Wieder- und Neueinrichtern war, während im Gesetz selbst festgelegt wurde, dass der verbilligte Erwerb von BVVG-Flächen an langfristige Pachtverträge gebunden ist. Damit wurden die meisten Wieder- und Neueinrichterbetriebe vom verbilligten Kauf ausgeschlossen. Ausgeschlossen wurde der landwirtschaftliche Mittelstand, die bäuerlichen Betriebe.“ Ausgeschlossen deswegen, weil die Treuhand das Gros der Flächen gleich 1990/91 an die LPG-Nachfolger verpachtet hatte und die Pachtzeiten immer wieder verlängert wurden. Nur in Ausnahmefällen ist es Wieder- und Neueinrichtern gelungen, von der BVVG ebenfalls Flächen langfristig pachten zu können.

Das meiste BVVG-Land für die einstigen DDR-Agrarkader

Das Pachten ist so begehrt, weil die ostdeutschen Agrarbetriebe für die von ihnen gepachteten BVVG-Flächen ein Vorkaufsrecht besitzen. Sie müssen sie allerdings langfristig gepachtet haben. Anfangs (1990/91) war das Treuhand-BVVG-Land nur kurzfristig verpachtet worden (1 bis 2 Jahre). Danach schloss die BVVG für die Masse der Flächen (über 90 Prozent) Pachtverträge auf 12 Jahre ab. Durch Beschluss von 1999 (Regierung Schröder) wurden sie um weitere 6 Jahre verlängert und 2007 (Regierung Merkel) für die meisten Flächen um weitere 9 auf 27 Jahre nochmals. Aber über 90 Prozent der Pachtflächen sind seit 1990 in die Hand vor allem der LPG-Nachfolger und der einstigen DDR-Agrarkader gefallen.

Organisierte Kriminalität unter Duldung europäischer Institutionen?

Den deutschen Rechtsinstitutionen wie Land- und Kammergericht in Berlin, Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft in Berlin und Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wirft Gerke in diesem Zusammenhang ein „fast vollständiges Versagen“ vor. Ebenso aber auch der EU-Generaldirektion Landwirtschaft in Brüssel bei seiner Beschwerde gegen die selektive Subventionierung und deren Umfang. Die Agrarkommissarin Fischer-Boel habe in einem Schreiben an ihn als den Beschwerdeführer das Vorgehen ihrer Generaldirektion verteidigt und dabei nachweislich falsche Behauptungen aufgestellt hat, wie er dokumentarisch belegt. Gerkes „Frage zum Schluss“ lautet: „Stehen wir bei dem Konglomerat aus Politikern, Verwaltung, Justiz und Lobbyverbänden , das die Verpachtung und den Verkauf des ostdeutschen Bodens lenkt, entscheidet und dabei Milliardensubventionen bewegt, vor dem neuen Phänomen einer genuin deutschen Form organisierter Kriminalität mit Duldung durch Europäische Institutionen?“

Ausführlicher hat Gerke diese Vorgänge schon in seinem Buch „Nehmt und euch wird gegeben“ beschrieben und angeprangert, 

Hierunter andere Beiträge von K .P . Krause :

Eine Korrekturregelung für „Alteigentümer“ http://kpkrause.de/?p=1239

Wie ostdeutsches Agrarland in falsche Hände kommt http://kpkrause.de/?p=1203

Das Sagen haben die neuen Junker http://kpkrause.de/?p=911

Die fatale Agrarpolitik in Ostdeutschland http://kpkrause.de/?p=622