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Rechtsfrieden durch Wulff? Der Kandidat und sein Einsatz für die Opfer der Bodenreform / Von Reinhard Müller


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Christian Wulff musste sich schon viel anhören. „Inkompetente Pfeife“ nannte ihn öffentlich einst ein Landwirtschaftsminister und Parteifreund aus Schwerin. Es ging um die Haltung des damaligen niedersächsischen Oppositionsführers zur Bodenreform. In der Frage der Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 lag und liegt Wulff nicht auf Linie. Bis heute: So forderte der Ministerpräsident Ende Dezember des vergangenen Jahres Bundesfinanzminister Schäuble auf, für die Opfer der Bodenreform „ein kleines Stück Rechtsfrieden zu erreichen“. Er wies in einem Brief darauf hin, „dass ich bei den Betroffenen ganz persönlich im Wort stehe und mir dieses Thema außerordentlich wichtig ist“.

Es ist auch Wulff zu verdanken, dass im Koalitionsvertrag von Union und FDP im Bund die Schaffung einer Arbeitsgruppe verabredet wurde – sie soll prüfen, inwieweit Grundstücke, die sich im Besitz der öffentlichen Hand befinden, den Enteigneten bevorzugt zum Erwerb angeboten werden können. Hier liegt extremer politischer Ost-West-Sprengstoff – kaum ein anderes Thema ließ sich über die Jahre seit der Wiedervereinigung so gut zur Stimmungsmache nutzen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Hintergründe und der rechtliche Rahmen kaum bekannt sind oder bewusst nicht zur Kenntnis genommen werden.

Beide deutschen Regierungen waren sich im Zuge des Einigungsprozesses einig: „Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen.“ Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte die Bundesregierung unter Bundeskanzler Kohl vorgetragen, die Sowjetunion hätte der Wiedervereinigung ohne diesen sogenannten Restitutionsausschluss nicht zugestimmt. Dem ist fundiert widersprochen worden. Heute ein müßiger Streit, denn die Wiedervereinigung ist längst vollzogen – und schon der Wortlaut der damaligen Vereinbarung deutet an: Eine Rückgabe ist gar nicht generell ausgeschlossen.

Schon in jener gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen zum Einigungsvertrag von 1990 heißt es nach dem Satz zum Restitutionsausschluss: „Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Möglichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, dass einem künftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muss.“

Es fehlt aber damals wie heute der politische Wille, etwas an den Enteignungen durch die Kommunisten substantiell zu ändern: Während die Sowjetunion ein Interesse daran hatte, die (Terror-)Maßnahmen ihrer Besatzungszeit nicht im Nachhinein zu delegitimieren, wollten Ost-Berlin und Bonn die Eigentumsordnung im Osten nicht (wieder) grundlegend ändern. Das hatte fiskalische Vorteile für die Bundesregierung, die freilich in den Jahrzehnten zuvor immer wieder das Eigentum hochgehalten hatte.

Seither hatten es diejenigen schwer, die auch nur für eine Modifizierung der Regelungen zu Entschädigung und Ausgleich eintraten. Denn im Osten galt und gilt parteiübergreifend von der CDU bis zur PDS/Linkspartei weitgehend die Devise: Die Bodenreform ist „kein Thema“, das „Rad der Geschichte“ dürfe nicht zurückgedreht werden. Aber auch im Westen waren es nur wenige, namentlich in der FDP, die eine andere Ansicht vertraten. So hatte Mitte der neunziger Jahre auch der damalige Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig für Korrekturen plädiert.

Wulff hatte stets hervorgehoben, es gehe ihm nicht ums „Rückgängigmachen“, sondern um vernünftige und gerechte Lösungen. Das zu DDR-Zeiten erworbene Privateigentum solle nicht angetastet werden, wohl aber der aus den Enteignungen in der SBZ hervorgegangene Staatsbesitz der DDR, der heute immer noch in der Hand des Staates ist. Wulff sagte auch, der Aufbau Ost sei anfangs ein Programm zur „Vermögensbildung West“ gewesen. Das müsse korrigiert werden. Nachdem die Enteigneten alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hätten – die waren erfolglos bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gezogen –, sei „nun erst recht wieder die Politik gefordert“, meinte Wulff etwa im September 2005.

Der niedersächsische Ministerpräsident, der stets ein offenes Ohr für die Enteignetenorganisation „Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen“ hat, wies damals auf das „erhebliche Investitionsvolumen in den neuen Bundesländern hin. 700000 Hektar land- und forstwirtschaftliche Flächen seien noch zu privatisieren. Die Opfer der menschenrechtswidrigen Enteignungen müssten mehr Möglichkeiten haben, dieses Land günstig zu erwerben. Tatsächlich waren zur Zeit der Bodenreform weniger „Junker“ enteignet worden als vielmehr ein Mittelstand, der heute im Osten schmerzlich fehlt.

Vor der Bundestagswahl hat der FDP-Vorsitzende Westerwelle gegenüber den Alteigentümern auf das Regierungsprogramm seiner Partei verwiesen. Dort heißt es immerhin: „Die Enteignungen in der Folge der sogenannten Bodenreform bleiben ein Unrecht. Die Frage des Alteigentums ist in den neuen Bundesländern zwar rechtsverbindlich entschieden. Das schließt politische Initiativen aber nicht aus. Es gibt noch sogenanntes Alteigentum im Staatsbesitz. Die FDP wird sich dafür einsetzen, dass Alteigentümern die Möglichkeit eröffnet wird, dieses zu erwerben.“ Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Merkel sowie der CSU-Vorsitzende Seehofer ließen zur Bodenreform mitteilen: „Einheit vollenden bedeutet für CDU und CSU auch den Rechtsfrieden mit den Menschen herstellen, denen Entschädigungsansprüche zugesprochen sind. Diese müssen unverzüglich auf der Basis der Anfang der neunziger Jahre getroffenen Regelungen erfüllt werden. Die durch den Zeitablauf eingetretenen Änderungen dürfen nicht zu Lasten der Betroffenen gehen. Fristen müssen angepasst werden.“

Tatsächlich setzte man bisher vor allem auf Zeitablauf. Noch immer ist über Tausende Anträge nicht entschieden, das Bundesamt für offene Vermögensfragen teilte im vergangenen Jahr mit, es bestehe ein „Zeitfenster bis zum Jahre 2020“ für die Abarbeitung der Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche. Und schon vor bald einer Dekade hat der thüringische Verfassungsgerichtshof die überlange Dauer vermögensrechtlicher Verfahren für verfassungswidrig erklärt.

Sollte Wulff zum Bundespräsidenten gewählt werden, darf man auf Impulse in dieser Richtung gespannt sein. Dem Ministerpräsidenten, der die Schlesiertreffen zurück nach Hannover geholt hat, wird gelegentlich auch in diesen Fragen Opportunismus vorgeworfen. Doch die Forderung nach Rechtsfrieden dürfte sich wohl auch ein Staatsoberhaupt zu eigen machen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.06.2010, Seite 10

Erinnerung....und Kommentar ...Dank an Herrn Kleindienst

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