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rbbonline | Archiv   Mi. 12. 05.2010

KLARTEXT
   
Mi 12.05.10 22:15


Autor: Holger Trzeczak 

Hat Axel Vogel mit einem Schlag die „Brandenburger Landwirtschaft beleidigt“, wie CDU und FDP meinen? Dabei hatte der Grünen Fraktionschef jüngst im Landtag nur den Nutzen jener Groß-Agrarfirmen in Frage gestellt, die als LPG Nachfolgebetriebe das Rückgrat der brandenburgischen Landwirtschaft darstellen – sie hätten keine höheren Beschäftigungseffekte als eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft. Die Schärfe der Debatte hat noch eine andere Ursache. Es geht auch um die Frage, wie die damalige Zwangskollektivierung unter dem DDR Regime bewertet wird.

„Werktätige Einzelbauern – werdet Mitglieder der LPG!“ – mit solchen Aufrufen wurden vor 50 Jahren zahllose Landwirte in der ehemaligen DDR meist zwangsweise kollektiviert, in die sogenannten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Seit Jahren fordern Opfer dieser Zwangskollektivierung angemessene Entschädigungen dafür. Jetzt ist eine breite Diskussion ausgebrochen, ob die Politik dieses Thema richtig bewertet. Ist altes Unrecht nach dem Mauerfall durch neues Unrecht ersetzt worden? Holger Trzeczak.

Kyritz vor zwei Wochen. Hier wird ein Gedenkstein eingeweiht. Versammelt sind Bauern, die sich als Opfer der DDR-Zwangskollektivierung fühlen. Auch die brandenburgsiche Landesregierung war zu der kleinen Feier eingeladen – doch erschienen ist von der hohen Politik niemand. Warum?

Immerhin, es geht um DDR-Unrecht. Ein bitteres Kapitel ostdeutscher Landwirtschaft.

Unter Zwang mussten 1960 die letzten 400.000 Zauderer unter den Bauern der LPG beitreten. Angestellte auf dem eigenen Hof waren sie nun. Ihr Land, ihr Vieh, ihre Ställe und Geräte mussten sie in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften einbringen. Der Propagandafilm jubelt, in Wahrheit war es nackte Enteignung.

Nach der Wende wurden die LPGs in großflächige Agrargenossenschaften überführt – ein Segen für das Land, wie der Ministerpräsident meint:

Matthias Platzeck (SPD), Ministerpräsident Brandenburg
„Wir in Brandenburg können uns alle glücklich schätzen, dass mittlerweile in unserem Lande eine Agrarstruktur besteht, die leistungsfähig und wirtschaftlich erfolgreich ist. Übrigens, sie gehört zu den erfolgreichsten in Deutschland überhaupt, das gefällt nicht allen. Und dabei sind auch große Agrarbetriebe ein unverzichtbares Standbein unserer Brandenburger Wirtschaft.“

Doch was ist mit denen, die bis heute nicht ihr Eigentum von der LPG zurück erhalten haben?

Das ist Friedrich Ketzmerik vor seiner alten LPG. Dort hinten hat er als Schlosser gearbeitet. Auch er und seine Eltern mussten einst in die LPG eintreten. Nach der Wende bekam er nur ein kleines Stück Land zurück, alles andere war verloren. So klagte er vor Gericht. Vor zwanzig Jahren und dauert immer noch. Weit kam er damit bislang nicht.

Friedrich Katzmerick, ehemaliges LPG-Mitglied
„Man hat auch viele billig abgefunden, aber wir sind drei Mann, die sich das nicht gefallen lassen und wir sind weiter gegangen auf Anraten des Anwaltes zum Oberlandesgericht.“

Laut Gesetz steht ihm eigentlich auch Geld für entgangenen Gewinn zu. Doch davon sieht er nichts – denn, so sagt er, seine alte LPG – nun sein Gegner - rechnete sich arm. Friedrich Ketzmerik kennt den LPG-Chef noch bestens von früher. Jetzt habe der wie ein Roter Baron neueste Technik, und auch noch von seinem Geld.

Friedrich Katzmerick, ehemaliges LPG-Mitglied
„Ich bin mit dem zusammen zur Berufsschule gegangen und auch zur Armee zusammen, wir hatten das gleiche Schicksal praktisch. Er wurde gezwungen, in der LPG zu arbeiten, und ich auch. – Er hat sich bloß, anders als Sie, an die Spitze gesetzt. – Er ist in die SED eingetreten, und dadurch hat er dann bessere Chancen gehabt, konnte sich besser qualifizieren dadurch.“

Dass viele LPG-Chefs bis heute dick im Geschäft sind, kann auch er nicht bestreiten.
Landesbauernpräsident Udo Folgart war einst selbst LPG-Chef. Chef ist er bis heute, nur nennt sich das jetzt Vorstandsvorsitzender der Agrar GmbH. Folgart trifft sich oft mit den anderen neuen Großagrariern, man kennt sich aus alten Zeiten. Alles in allem, findet er, wurden die LPG-Großbetriebe nach 1990 doch fair privatisiert.

Udo Folgart (SPD), Landesbauernverband Brandenburg
„Da kann sich der eine oder andere auch ungerecht behandelt gefühlt haben, und da ist es sein gutes Recht in einem Rechtsstaat auch darauf zu reagieren. Insofern ist das ‘ne Einzelfallentscheidung, die ich jetzt ja pauschal nicht beantworten kann. Also das ist tatsächlich ein Prozess, der ja dann auch in diesem Rechtsstaat mit rechtstaatlichen Mitteln begleitet wird“

Das Einzelfallargument also. Auch Martin Wehlan bekam vor Gericht nach vielen Jahren längst nicht alles zurück - und er kennt sich aus in der Materie: Er war im Amt für Flurbereinigung sowie Schöffe im Landwirtschaftsgericht bei vielen Prozessen.

Martin Wehlan, ehemaliges LPG-Mitglied
„Vielfach wurden falsche Bilanzen gefertigt, die dazu dienten, die Vermögensansprüche runter zu rechnen…“
KLARTEXT
„Haben Sie das gesehen?“
Martin Wehlan, ehemaliges LPG-Mitglied
„Wir haben das selbst natürlich bei unserem Rechtsstreit mit dem LPG-Nachfolger selbst erlebt in der Familie. Ich hab das in meiner Arbeit erlebt in der Flurbereinigungsbehörde, und das sind die beiden Ebenen, in der ich festgestellt habe, dass erhebliche Vermögenswerte außerhalb der Vorschriften des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes in nicht berechtigte Kanäle gegangen ist.“

Wissenschaftlich untersucht hat das Streitthema Jörg Gehrke. Mit der Uni Jena zusammen hat er die alten Gerichtsakten durchforstet. 90 Prozent des LPG-Vermögens in Ostdeutschland, so sein Urteil, wurden an den alten Mitgliedern vorbei verschoben.

Jörg Gehrke, Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft
„Dem Land Brandenburg kann man den Vorwurf machen, dass es wie auch in anderen Bundesländer systematisch die Arbeit der Registergerichte nicht überprüft hat und diese rechtswidrige Eintragungen der Register gereichte nicht einkassiert hat. Dem Land Brandenburg kann man auch den Vorwurf machen, dass in Zusammenhang damit eine kleine Gruppe sich das landwirtschaftliche Vermögen angeeignet hat."

Das wirft ein hässliches Licht auf die brandenburgische Landwirtschaft, auf die der Ministerpräsident so stolz ist.

Bei seinen Recherchen stieß KLARTEXT immer wieder auf eine Mauer des Schweigens. Interviews werden erst zugesagt, dann wieder abgeblasen. Man könne es sich wirtschaftlich nicht erlauben, heute noch über den vergeblichen Nachwendekampf gegen alte LPG-Chefs auszusagen – hieß es hinter vorgehaltener Hand.

Reicht der Einfluss der alten und neuen Chefs immer noch aus, dass aktive Bauern sich nicht trauen, öffentlich über ihre LPG-Verluste zu erzählen? Für den ehemaligen LPG-Bauern Ketzmerick steht fest: In Brandenburg ist bis jetzt lediglich altes Unrecht durch neues abgelöst worden. Aufgeben wird er deswegen nicht.