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Schwarzbuch

von K.-P. Krause : " Wie deutsche Rechtsprechung versagt " - über den ARE-Kongreß - Beitrag von Dr. Wasmuth


  Nach 1945 geschah es beim Aufarbeiten des NS-Unrecht, seit 1990 geschieht es beim Aufarbeiten des SED-Unrechts / Tatsachen werden systematisch verdrängt, Bestrafungen der Täter und Wiedergutmachungen an den Opfern unterlassen

Schwerste Verbrechen als schwerste Menschenrechtsverletzungen hat die bundesdeutsche Rechtsprechung noch immer nicht aufgearbeitet, jedenfalls nicht in rechtsstaatlich zwingender Weise. Zu diesen Verbrechen gehören die politischen Verfolgungen nach stalinistischen Terrormethoden in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) 1945 bis 1949. Getarnt waren sie zumeist mit den Bezeichnungen „Bodenreform“ und „Wirtschaftsreform“. Als solche verharmlost werden sie aus politischen und fiskalischen Beweggründen auch heute noch. Die Opfer dieser Verbrechen warten auf die Wiedergutmachung nach wie vor. Diese Wiedergutmachung ist nicht nur möglich, sondern nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen auch geboten. Aber deutsche Justiz und zuständige Behörden verkennen, was diese Regelungen besagen, und verfälschen sie.

Gesetzliche Maßstäbe zu Lasten der Opfer verkannt

Auf dem Kongress der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE) am 19. und 20. April in Potsdam hat der Jurist Dr. Johannes Wasmuth den Gerichten „Versagen“ vorgeworfen und dies detailliert begründet. Ebenso versagt wie schon beim Aufarbeiten von NS-Unrecht habe die bundesdeutsche Rechtsprechung auch beim Aufarbeiten von SED-Unrecht, also abermals. Die rechtsstaatlichen Defizite beiderseits seien vergleichbar: Tatsachen der politischen Verfolgung würden systematisch verdrängt, die gesetzlichen Maßstäbe zum Nachteil der Opfer verkannt, Wiedergutmachungen würden häufig unterbleiben, Bestrafungen der Täter unterlassen. Überdies lägen im Fall der repressiven Verfolgungsaktionen gegen die Opfer der „Boden- und Wirtschaftsreform“ die bisher angestrengten Klageverfahren neben der Sache. Wasmuth ist Rechtsanwalt und Cheflektor des führenden rechtswissenschaftlichen Fachverlages C. H. Beck in München, die ARE ein Zusammenschluss von vierzehn Opfer- und Geschädigtengruppen.

Verfolgungen nach dem Muster stalinistischer Säuberungen

Wasmuth führte vor, welches für diese Verfahren die maßgeblichen rechtlichen Maßstäbe sind und dass es sich um repressive Verfolgungsaktionen nach dem Muster der „stalinistischen Säuberungen“ gehandelt hat. Er zerpflückte Fehlentscheidungen deutscher Gerichte, die leider meinungsbeherrschend geworden seien. Er beschrieb den immensen wirtschaftlichen Schaden der unterbliebenen Wiedergutmachung und zeigte auf, welche rechtlichen Möglichkeiten zur Wiedergutmachung bestehen. Hierbei sei zu unterscheiden zwischen bloßen objektbezogenen Enteignungen (zwar Unrecht, aber nicht verbunden mit schwersten Menschrechtsverletzungen) und repressiven Vermögenseinziehungen (als Bestandteil menschenrechtswidriger Verfolgungen). Das bedeute: Repressive Vermögenseinziehungen seien keine objektbezogenen Enteignungen. So gehe es zum Beispiel in Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 nur um Enteignungen. Daher schließe sie eine Wiedergutmachung schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen (einschließlich der repressiven Vermögenseinziehungen) durch Rehabilitierung und Rückgabe der eingezogenen Vermögenswerte gerade nicht aus. Das sei ein völliges Fehlverständnis. *)

Einschlägig für die Opfer ist das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz

Hat es sich „nur“ um bloße Enteignungen gehandelt, ist für die Vermögensrückgabe, wie Wasmuth weiter darlegte, das Recht zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) zuständig.1) Fanden Enteignungen unter sowjetischer Besatzungshoheit (also zwischen 1945 und 1949) statt, ist hiernach das Ausgleichsleistungsgesetz einschlägig, und die Opfer erhalten nur eine minimale finanzielle Ausgleichsleistung.2) Handelte es sich jedoch um repressive Verfolgungen mit einhergehender Sanktion der Vermögenseinziehung, haben unschuldig Strafverfolgte einen Anspruch auf Rehabilitierung durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrehaG).3) Die Strafmaßnahme ist deshalb aufzuheben (Rehabilitierung), und die Vermögensrückgabe vollzieht sich dann – auf einer zweiten Stufe – nach dem Vermögensgesetz. Ob besatzungsrechtlich oder besatzungshoheitlich bestraft, ist dabei unerheblich; den Anspruch auf Rehabilitierung und Rückgabe schränkt das nicht ein. Ebenso besteht der Anspruch bei außergerichtlichen Repressionsmaßnahmen, also wenn damals sogenannte Kommissionen oder andere mit extralegalen Strafkompetenzen betraute Verwaltungsorgane - wie für eine repressive Diktatur typisch - sie verfügt haben. Einschlägig ist das StrehaG für sämtliche Opfer schwerwiegender Menschrechtsverletzungen, die als reguläre oder irreguläre Strafmaßnahmen (seien es gerichtliche, außergerichtliche oder extralegale) zwischen dem 8. Mai 1945 und 2. Oktober 1990 stattfanden. Außerdem regelt Paragraph 2 des StrRehaG sämtliche Freiheitsentziehungen, somit auch die Verschleppungen der „Bodenreform“ in Internierungslager, was flächendeckend gerichtlich verkannt wird.

Strafaktionen gegen Nazis zum „Klassenkampf“ missbraucht

Formal waren die Bestrafungen gegen „Nazi- und Kriegsverbrecher“ gerichtet; in den westlichen Besatzungszonen fanden solche Bestrafungen ebenfalls statt, denn solche Verbrecher gab es durchaus. Aber die Kommunisten in der SBZ missbrauchten die Bestrafungen, um im „schärfsten Klassenkampf“ eine ganze Bürgerschicht zu vernichten und politisch wie wirtschaftlich auszuschalten (Unternehmer, Industrielle, Gewerbetreibende, Grundeigentümer, Adlige, Gutsbesitzer, große Landwirte).4) Schon deshalb ist die Behauptung, es handele sich doch nur oder lediglich um „sozialisierende Verstaatlichungsmaßnahmen“, eine Verfälschung der Tatsachen. In der Landwirtschaft gaben sie sie als „Bodenreform“ aus und außerhalb davon als „Wirtschafts- oder Industriereform“. Auch deren wahren Repressions- und Strafcharakter belegte Wasmuth im Detail. Vorbild waren die „stalinistischen Säuberungen“ in der Sowjetunion.5) Die Rechtsgrundlage und den Strafzweck lieferte die Kontrollratsdirektive Nr. 38 als Strafgesetz, und der SMAD-Befehl Nr. 201 als das anzuwendende Strafprozessrecht. „Aber der Strafzweck wird in übler Form einfach nicht zur Kenntnis genommen“, sagte Wasmuth.

Wie die Strafverfahren in Ostberlin abliefen

Besonders gut dokumentiert sind die Verfahren, die in Ostberlin stattfanden: Die Anklage erhob die „Deutsche Treuhandverwaltung“, die Beschuldigten wurden am Verfahren nicht beteiligt, jedwede Verteidigung ihnen verwehrt, die ihnen zur Last gelegten Vorwürfe galten als Tatsachen und wurden nicht überprüft, entschieden wurde in Schnellverfahren und Sammelterminen, die Entscheidungsergebnisse in Listen eingetragen, es gab keinen Rechtsschutz. Die verhängte Strafe: Freiheitsentzug (durch Straflager, Gefängnishaft, Verschleppung), die Austreibung, Einziehung des betrieblichen und privaten Vermögens, Berufsverbot, Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, öffentlicher Tadel als Nazi- und Kriegsverbrecher und Registrierung als solcher in speziellen Listen der Staatssicherheitsorgane (schon damals unter Erich Mielke), plakative Brandmarkung mit Prangerwirkung. Auch wurden die Opfer und ihre Familienangehörigen offiziell für rechtlos und vogelfrei erklärt. Hinzukam eine aufgeheizte Progromstimmung. Die Zahl der Deutschen (ohne die kollektiv mitverfolgten Familienangehörigen), die überwiegend aufgrund schwarzer Listen der deutschen Kommunisten durch die Sowjets interniert wurden, bezifferte Wasmuth nach den neuesten bekannten seriösen Schätzungen (u. a. der russischen Rehabilitierungsbehörden) mit 380 000 bis 390 000. Ein Drittel von ihnen (rund 130 000) habe die Internierung nicht überlebt.

Die in der SBZ-Zeit berüchtigten Todeslager

Hierzu hatte ich 2003 in der FAZ geschrieben: „Damals in der SBZ gab es die berüchtigten ‚Todeslager’. In ihnen wurden die Opfer unter meist willkürlichen, politisch motivierten Beschuldigungen interniert. Die gegenwärtige wie die frühere Bundesregierung geben die Zahl dieser Opfer mit 150 000 an, die Opferverbände sprechen von 250 000. Davon sind 70 000 – diese Zahlenangabe ist einvernehmlich – zu Tode gebracht worden. Die hiervon betroffenen Menschen – seien es die strafgerichtlich Verurteilten, seien es die außergerichtlich Internierten – gelten als besonders schwer getroffene Opfer personenbezogenen politischer Verfolgung.“ 6)

Weitere Opfer sind die der Waldheim-Prozesse

Diesen Zahlen hinzuzurechnen sind allerdings noch diejenigen, die nach Auflösung der sowjetischen SBZ-Gulag-Lager Anfang der 1950er Jahre, den SBZ-/DDR-Organen übergeben und von diesen in den schlimmen Waldheim-, den Waldheim-Nachfolge- und den Industrie-Schauprozessen unter gröbster Missachtung jeglicher Rechtsgarantien auf Weisung Ulbrichts und Mielkes willkürlich drangsaliert und eingesperrt wurden. Abschließende Zahlen hierzu haben Bundesregierung, Bundesjustizministerium und der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes bis heute nicht bekannt gemacht. Allerdings sind dies nur die Zahlen der Verfolgten in den Todeslagern, also ohne die „an Ort und Stelle Liquidierten“ (diese wurden statistisch gar nicht erst registriert), die Ausgetriebenen und diejenigen, die sich diesem unsäglich menschenrechtswidrigem Verfolgungsdruck rechtzeitig noch durch Flucht entziehen konnten.

Warum die Opfer fast alle Gerichtsverfahren verloren haben

Viele Verfolgungsopfer haben um Rehabilitierung und Vermögensrückgabe viele Prozesse geführt und nahezu alle verloren. Teils nämlich haben sich die Kläger auf falsche Rechtsgrundlagen berufen und wurden deshalb abgewiesen, teils haben die bundesdeutschen Gerichte ihre Entscheidungen auf Rechtsgrundlagen gestützt, die nicht einschlägig sind und daher zu Lasten der Kläger Fehlentscheidungen waren - und es weiterhin sind. So haben die Kläger - nach Wasmuth - deshalb verloren, weil sie gegen die Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung (GemErkl) für lediglich objektbezogene „Enteignungen“ vorgingen und sich dabei auf das hier gar nicht einschlägige Grundgesetz beriefen statt auf die völkerrechtlich geschützte Menschenwürde. Oder sie stellten ihre Ansprüche auf Rehabilitierung und Rückgabe nach dem Vermögensgesetz. Oder sie stützten diese Ansprüche auf das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRhaG). Oder sie legten Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel ein, weitere Rehabilitierungsgesetze zu erlassen. Oder sie beriefen sich zwar zutreffend auf das StrehaG, trugen aber zu den gesetzlichen Voraussetzungen nicht hinreichend den tatsächlichen Sachverhalt vor (schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Sinne der Radbruch’schen Formel und des Völkerrechts). Oder aber die Klagen nach dem StrehaG scheiterten daran, dass strafrechtliche Rehabilitierungsgerichte unverzeihliche Rechts- und Ermittlungsfehler begingen.

Woran die erste Verfassungsklage gescheitert ist

So hat zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht in seinem sogenannten Bodenreformurteil von 23. April 1991 die grundgesetzlich begründete Klage gegen die Ziffer 1 der GemErkl zutreffend deswegen abgewiesen, weil diese Ziffer für das Rückgabebegehren nicht einschlägig ist. Maßgeblich dafür ist die Ziffer 9 der Erklärung mit der Rehabilitierungsvereinbarung zwischen den damals noch beiden deutschen Staaten. Freilich hat das Gericht die Kläger auf ihren Irrtum auch nicht hingewiesen, wozu es – jedenfalls ungefragt – auch nicht unbedingt verpflichtet ist. Außerdem haben die Kläger den wirklichen Sachverhalt nicht vorgetragen und die „Bodenreform“ nur als Umgestaltung der Eigentumsordnung und Kriegsfolgemaßnahme verstanden, sie mithin als „Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage“ der Ziffer 1 in der Gemeinsamen Erklärung fälschlich zugeordnet. Der betreffende Satz dort lautet: „Die Enteignungen (auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage) sind nicht mehr rückgängig zu machen.“ Er bezieht sich also nur auf die Enteignungen. Und: Er ist nur eine Feststellung. Wasmuth: „Das Sind-nicht-rückgängig-zu-machen bedeutet nur, dass die Maßnahmen nicht nichtig sind“. Verfassungswidrig ist daran nichts, eine bloße Feststellung ist kein Verstoß gegen das Grundgesetz, ist nicht verfassungswidrig.

Wie sich die Mär vom „Rückgabeverbot“ durchsetzte

Dass ein Rückgängigmachen aller Eigentumsdelikte, dass eine „Restitution“ – das ist die vom Verfassungsgericht verwendete Bezeichnung – nach einem halben Jahrhundert nicht mehr möglich ist, versteht sich ohnehin von selbst. Der Satz stellt eine bloße Tatsache fest, er regelt nichts, er verbietet nichts, noch nicht einmal für Enteignungen.7) Aber weil das Urteil von 1991 die Klage der „Alteigentümer“ auf Rückgabe ihres Eigentums abwies, wirkte es daran mit, dass sich in der Öffentlichkeit die Interpretation des Nicht-Rückgängig-Machens als Rückgabe-, gar Rehabilitierungs-Verbot durchsetzte und die Fachgerichte in ihrer Rechtsprechung es in der Folgezeit ebenso verstanden. Wasmuth: „Also hat die falsche Klage alles Folgende in die falsche Richtung getrieben. Auch haben Bundesjustiz- und Bundesfinanzminister die ganze Fehlleitung gezielt mitbetrieben.“

Die falsch angelegte erste Verfassungsklage hatte fatale Folgen

Besonders die Bundesregierung, dann andere Politiker, politische Parteien, die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen, die meisten Medien haben aus dem Urteil ein totales Rückgabeverbot herausgelesen (und herauslesen wollen): Gemeinsame Erklärung und Vertrag zur deutschen Einheit verböte die Rückgabe sämtlicher in der SBZ enteigneter oder eingezogener Vermögenswerte, und zwar selbst dann, wenn sie in der Hand des heutigen wiedervereinigten deutschen Staates seien, also nicht in gutgläubiger, redlicher Privathand. Für die deutsche Rechtsstaatlichkeit, für den Wiederaufbau der ruinierten Wirtschaft und für das soziale Gefüge in den neuen Ländern haben die falsche Klage und das sie abweisende Urteil fatale Folgen gehabt, die noch immer nicht behoben sind.

Warum das Vermögensgesetz die falsche Rechtsgrundlage ist

Das Vermögensgesetz ist für das Rückgabebegehren der repressierten Verfolgungsopfer der SBZ-Zeit nach Wasmuths Ausführungen die ersichtlich falsche Rechtsgrundlage. Es gilt nur für objektbezogene Enteignungen und Konfiskationen, die aber mit schwerster Verfolgung und repressiven Verfolgungsschäden nichts zu tun haben. Daher gilt es auch nicht für repressive Vermögenseinziehungen, die fester Bestandteil solcher Menschenrechtsverletzungen waren. Für sie enthält es sogar eine ausdrückliche Nichtanwendungsklausel (Paragraph 1, Absatz 8, Buchstabe a, zweiter Halbsatz VermG). Das hat die Gerichte aber nicht daran gehindert, diese Opfer dennoch dem Vermögensgesetz zuzuordnen und deren Klage abzuweisen.

Was sich die einstige Sowjetunion wirklich ausbedungen hat

Vor allem seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 19948), das die Gesetzeslage ebenfalls falsch verstand, pflegen die Ämter und unteren Gerichte den Verfolgungscharakter der Strafmaßnahmen gar nicht erst zu prüfen. Sie behandeln die Maßnahmen ungeprüft als bloße Enteignungen und erweitern das vorgetäuschte sowjetische Rückgabeverbot9) auf die bloße Erfindung, eine Vermögensrückgabe (und deshalb zuvor auch eine Rehabilitierung) sei deswegen verboten, weil man damit der Sowjetunion vorwerfe, sie habe damals unrechtmäßig gehandelt. Tatsächlich wollte die Sowjetunion – und nur das hatte sie sich ausbedungen – für die Folgen ihrer damaligen stalinistischen Verbrechen in der SBZ nicht gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden (Indemnitätsverlangen) und keine Entschädigungen leisten müssen. Wie absurd diese Erweiterung des vorgetäuschten Verbots ist, zeigt sich auch daran, dass der Nachfolgestaat Russland die Opfer jener Verbrechen auf Antrag selbst rehabilitiert und damit den Weg zur Vermögensrückgabe ausdrücklich freigemacht hat.10) Was das Bundesverwaltungsgericht 1994 falsch entschieden hatte, haben Bundesverfassungsgericht und die Fachgerichte, wie Wasmuth sagte, übernommen, darauf also falsche Urteile gegründet.

Eine falsche Klagegrundlage ist auch das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz

Ebenso wie das Vermögensgesetz ist nach den Darlegungen Wasmuths auch das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) für die Rückgabebegehren die falsche Rechtsgrundlage. Repressive Verfolgungsmaßnahmen seien keine Verwaltungsentscheidungen im Sinn von Paragraph 1, Absatz VwRehaG. Ansprüche, die sich darauf gestützt hätten, habe das Bundesverwaltungsgericht abgewehrt.11) Zwar habe das Gericht nun nicht mehr verneint, dass es sich um politische Verfolgung gehandelt habe, aber es habe den vermögensrechtlichen Enteignungsbegriff auf die verfolgungsbedingten Vermögenseinziehungen ausgeweitet, diese also wie bloße Enteignungen behandelt. Und indem es den Paragraphen 1, Absatz 3 VwRehaG überdehnt habe, habe es den Geltungsbereich des VwRehaG beschränkt auf die Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze.12)

Grobe Verletzungen richterlicher Pflichten

Diverse verfassungsgerichtlicher Entscheidungen haben, wie Wasmuth weiter ausführte, die bisher (falsche) Rechtsprechung der Fachgerichte bestätigt und die verfolgungsbedingten Vermögenseinziehungen weiterhin als bloße Enteignungen verstehen wollen. Das OLG Dresden habe in seinem Urteil vom 26. November 2010 den Strafcharakter sogar wiederum verneint und gemeint, es fehle der Strafzweck.13) Wasmuth bedauert, dass sich die ablehnende Rechtsprechung in den zurückliegenden zwanzig Jahren gefestigt hat. Er wirft den Gerichten vor, dass sie umfassende Vorträge zu den Tatsachen nicht mehr seriös zur Kenntnis nehmen und dass vereinzelte Ablehnungen einer strafrechtlichen Rehabilitierung auf grober Verletzung richterlicher Pflichten beruhen.

Welche Chancen für die Opfer gleichwohl bestehen

Chancen für eine strafrechtliche Rehabilitierung sieht Wasmuth nur, wenn man umfassend vorträgt und die Strafverfolgung dokumentarisch lückenlos nachweist. Sehr günstig dafür sei nunmehr nach neuesten Forschungsergebnissen die Aktenlage für die einstigen Verfolgungen in Ostberlin. Besonders bei den als „Wirtschaftsreform“ getarnten Repressionen könne der Strafcharakter hiernach nicht mehr geleugnet werden, denn Strafrechtsgrundlage und Strafzweck ließen sich unmittelbar aus der Kontrollratsdirektive 38 nachweisen. Vorherige Wiedergutmachungsverfahren nach dem Vermögens- und Ausgleichsleistungsgesetz oder nach dem Verwaltungsrechtlichem Rehabilitierungsgesetz sind für einen neuen Antrag unschädlich. Bei bereits abgeschlossenen strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren lässt sich eine Wiederaufnahme unter anderen damit erreichen, dass man noch nicht berücksichtigte Tatsachen vorlegt. Anträge auf Rehabilitierung können noch bis zum 31. Dezember 2019 gestellt werden.

Was bei Verfassungsklagen vorzubringen ist

Ist die strafrechtliche Rehabilitierung abgelehnt worden, besteht die Möglichkeit, verfassungsrechtliche Verstöße der Rehabilitierungsgerichte zu rügen und damit vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und zwar mit folgender Argumentation: Das krasse Unrecht – schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen – wirke fort. Das verstoße gegen elementare Prinzipien der Gerechtigkeit im Sinn der „Radbruch’schen Formel“ und der allgemein in der Völkergemeinschaft anerkannten Menschenrechte. Das betreffende Rehabilitierungsgericht habe das Recht willkürlich angewendet, unter anderem dadurch, dass es gegen die Denkgesetze verstoßen habe. Weil das Gericht die Rechtslage verkannt und daher seine materielle Prüfung zu sehr reduziert habe, sei der effektive Rechtsschutz (Artikel 2, Absatz 1 Grundgesetz) unterblieben. Verletzt sei auch das Gebot des rechtlichen Gehörs.

Die Folgen der Rückgabeverweigerung für die ostdeutsche Wirtschaft

Wasmuth beklagt, dass die Treuhandanstalt die Wirtschaftsstruktur in den neuen Bundesländern zerschlagen und dabei statt der vom Fiskus erhofften Einnahmen einen Verlust von 250 Milliarden Euro verursacht hat. Die Politik der Nichtrückgabe habe die mittelständische Wirtschaft nachhaltig zerstört. Es fehle weiterhin an einem wirtschaftlichen Umfeld, um den Mittelstand nennenswert zu stärken, weil es an einem Motor für nachhaltige Wachstumsstrategien fehle. Aktiv tätig würden in den neuen Bundesländern nur mittelständische Unternehmer mit enormen Idealismus und wirtschaftlicher Risikobereitschaft. Jene, die das mitbrächten, würden vorwiegend die „Alteigentümer“ sein. Ihnen müsse endlich Gerechtigkeit widerfahren.

Alte LPG-Kader beherrschen die ostdeutsche Landwirtschaft

Abschließend kritisierte Wasmuth, dass die früheren LPG-Kader ihre Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) seit der deutschen Vereinigung zu ihren eigenen Gunsten und zu Lasten der LPG-Mitglieder umgewandelt hätten und nun mit ihren Großbetrieben (durchschnittlich 1400 Hektar) die ostdeutsche Landwirtschaft beherrschten. Bei bis zu 80 Prozent dieser Umwandlungen habe es rechtswidrige Machenschaften gegeben, darunter Bilanzfälschungen, Betriebsauslagerungen, unterbliebene Auszahlungen an die LPG-Mitglieder.14) Durch diese Machenschaften seien seit der deutschen Einheit zwei Drittel der einst in die LPG gepressten Bauern aus der Agrarwirtschaft verdrängt worden. Die Großbetriebe der einstigen LPG-Kader seien signifikant unwirtschaftlich, sie lebten von der Substanz und kassierten je Arbeitskraft weit höhere EU-Direktsubventionen als die bäuerlichen Familienbetriebe.

*) Hierzu erläutert Wasmuth: Die Gemeinsame Erklärung enthält zwei unterschiedliche Vereinbarungen: Ziffer 1 bis 8 Enteignungen (Rückgabe, Ausschlussgründe, keine Rückgängigmachung besatzungshoheitlicher Enteignungen)  und  Ziffer 9 strafrechtliche Vermögenseinziehungen (unbedingte Pflicht der DDR, alle strafrechtlichen Vermögenseinziehungen (auch besatzungshoheitliche) in einem justizförmigen Verfahren zu rehabilitieren). Aus diesen beiden Vereinbarungen ergibt sich, dass Enteignungen und strafrechtliche Vermögenseinziehungen zu unterscheiden sind und dass deshalb Enteignungen keine strafrechtliche Vermögenseinziehungen sind. Bereits die Gemeinsame Erklärung enthält Verpflichtungen für Enteignungen und für strafrechtliche Vermögenseinziehungen. Nur daraus wird dann auch verständlich, dass strafrechtliche Vermögenseinziehungen per se keine Enteignungen sind. Und daraus wird weiter verständlich, dass der Richter oder sonstige Rechtsanwender immer zu prüfen hat: War eine Maßnahme eine Enteignung oder aber eine strafrechtliche Vermögenseinziehung. Wenn man diese zwei Vorgaben der Gemeinsamen Erklärung verstanden hat, dann versteht man auch, dass sich daraus zwei unterschiedliche Rechtsgebiete des Wiedergutmachungsrechts entwickelt haben, weil der Gesetzgeber diese beiden unterschiedlichen quasi-völkerrechtlichen Vereinbarungen in für den Bürger unmittelbar geltendes Wiedergutmachungsrecht umgesetzt hat: Enteignungen im Recht der offenen Vermögensfragen (Vermögensgesetz, Ausgleichsleistungsgesetz pp.) und Strafrechtliche Vermögenseinziehungen im Rehabilitierungsrecht. Verwaltungsrechtliche Vermögensentziehungen, die damit auch immer Maßnahmen der politischen Verfolgung sind wie die strafrechtlichen, sind in der Gemeinsamen Erklärung noch nicht angesprochen. Dass sie aber nicht anders zu beurteilen sind als strafrechtliche Vermögenseinziehungen, ergibt sich dann aus der Denkschrift zum Einigungsvertrag. Deshalb gibt es dann auch das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz. Es ist also absolut wichtig zu unterstreichen, dass die Gemeinsame Erklärung zwei unterschiedliche Vereinbarungen enthält und dass schon deshalb besatzungshoheitliche strafrechtliche Vermögenseinziehungen keine Enteignungen sind und von Ziffer 1 („… sind nicht rückgängig zu machen“) nicht erfasst sind.

1) Das „Recht zur Regelung offener Vermögensfragen“ ist im Einigungsvertrag vereinbart (Artikel 41 EV mit GemErkl. vom 15. Juni 1990). Es regelt ausnahmslos „objektbezogene Enteignungen“, nicht personenbezogene Verfolgungen mit Vermögenseinzug. Das Recht der offenen Vermögensfragen und seine Regelungen stellen keine Wiedergutmachung des Unrechts oder seine Aufarbeitung dar. Die damaligen Schädigungsakte werden weder als Unrecht bewertet, schon gar nicht aufgehoben, sondern nur als (neutrale) Schädigungsakte durch sozialstaatlichen Ausgleich gemildert (BVerfGE 102, 254, Seite 297ff. vom 22.November 2000). Das später im Bundesjustizministerium entstandene Vermögensgesetz (obwohl auch von der DDR-Volkskammer schon erlassen) setzt auch die Gemeinsame Erklärung um (BVerfGE 95, 48), vermischt aber die bloßen Enteignungen und die verfolgungsbedingten Vermögenseinziehungen im Paragraphen 1 bunt durcheinander und in systematisch irreführender Weise. Die korrekte Bezeichnung des Vermögensgesetzes müsste also in der Langfassung lauten: Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen im Sinne der Gemeinsamen Erklärung und Art. 41 EVertr. und zur wiedergutmachenden Durchführung/Abwicklung von Verfolgungsschäden (die nicht in Art. 41 EVertr. mit GemErkl. geregelt sind).

2) Gewährt wird sie nach dem Sozialstaatsprinzip. Die Opfer der anderen DDR- Enteignungen (1949 bis 1990) erhalten ebenfalls nur eine solche soziale Ausgleichsleistung, doch ist diese als (freiwilliger) Rückgabegrundsatz ausgestaltet. Dies sei, so das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil es sich hier durchgängig um nicht-menschenrechtswidrige Verfolgungsmaßnahmen handele (objektbezogene Enteignungen), und solche Schädigungsmaßnahmen einer fremden Staatsgewalt deswegen nicht als rechtsstaatswidrig am Prüfungsmaßstab des Grundgesetzes gemessen werden könnten, vielmehr als nach dem Völkerrecht bestandskräftig hinzunehmen seien (Urteil zum EALG vom 22.November 2000 – BVerfG 102, 254 S. 297ff. mit weiteren Nachweisen).

3) Denn solches Unrecht, bei dem es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, kann im Rechtsstaat nicht anerkannt werden und keinen Bestand haben (ständige Rechtsprechung, so zum Beispiel im Urteil vom 7. Dezember 1999 – BVerfG 101, 275 Seite 287ff.). Dies gelte uneingeschränkt auch rechtsstaatswidrige repressive Einziehungen, die Teil dieses weit größeren Unrechts gewesen seinen (Urteil vom 23. November 999 – BVerfGE101, 239 Seite 268).

4) Letztlich sogar jedes freiheitlich demokratische Rechtsstaatssystem zu beseitigen (vergleiche nur: KPD-Verbot, Urteil vom 17. August 1956 – BVerfG 5, 85 147ff.).

5) Heute werden sie – vorbildlich und rechtsstaatlich korrekt – als schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen ausnahmslos nach dem russischen Rehabilitierungsgesetz rehabilitiert.

6) „Auf dem Rechtsweg zermürbt“ - FAZ vom 9. September 2003.

7) Ausdrücklich im Beschluss vom 15. April 1993 (BVerfG 1 BvR 1885/92).

8) BVerwG 7 C 47.94, wiederholt in der Entscheidung vom 14. Januar 1998 (BVerwG 3 B 339.97). Diese Entscheidung hat das Gericht selbst als „Zusammenfassenden Beschluss“ bezeichnet. Sie war notwendig geworden, weil dem Gericht massive Kritik entgegengehalten worden war. Deshalb wollte es noch einmal umfassend = zusammenfassend dazu klarstellen.

9) Als eine Voraussetzung zur Zustimmung für die deutsche Vereinigung hat es vorgeblich eine „Bedingung“ der Sowjetunion und eine „Bedingung“ der DDR gegeben. Danach sei die Vermögensrückgabe verboten. Aber beide Bedingungen hat die Regierung Kohl damals frei erfunden. Warum? Vor allem deswegen, weil sie die geraubten Vermögenswerte, die mit der deutschen Einheit in ihren (an sich nur vorübergehenden) Besitz gelangt waren, den Eigentümern nicht wiedergeben, sondern verkaufen wollte, um mit dem Erlös die Folgekosten der deutschen Vereinigung zu finanzieren (vgl. nur, bei verständigem Lesen die bereits oben erwähnte BT-Drucks. 11/7920, S. 14) – eine Absicht, die völlig in die Hose ging und mit einem Riesenverlust endete. Wasmuth nannte in seinem Vortrag 250 Milliarden Euro. Dass es die beiden Bedingungen nicht gab, ist längst erwiesen, was aber damals unglücklicherweise nicht sofort gelang. Doch den Vortäuschungen davon sind die meisten Abgeordneten, die Behörden, die Ämter, die Gerichte überaus bereitwillig gefolgt. Was die Regierung Kohl vortäuschte, kam ihnen – so der Eindruck – nicht ungelegen. Sie verstanden das von der Regierung Gewollte, wie sie es verstehen sollten. Obwohl eine Mär, stecken beide „Bedingungen“ in zu vielen Köpfen noch heute.

10) Mehr noch: Schon die Begründung zum Einigungsvertragsgesetz vom 18. September 1990 Bundestagsdrucksache. 11/7920, Seite 14), erst recht die Auskünfte der Bundesregierung zu der mit der DDR wie UdSSR vereinbarten „uneingeschränkten Rehabilitierung“ (so die Bundestagsdrucksachen 13/4286 auf Seite13f. und 13/6447 auf Seite 1 sowie 13/7342 – alle online über das Portal www.bundestag.de aufrufbar – belegen plastisch, dass von einem Rehabilitierungsausschluss oder entsprechenden Ausschlussforderungen der DDR oder UdSSR nicht im Ansatz die Rede sein kann. Soweit die Sowjetunion jene schweren Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hat, hat deren Opfer der Nachfolgestaat Russland auf Antrag rehabilitiert, jedenfalls anfangs. Soweit sie auf das Konto der deutschen SBZ-Kommunisten gehen, muss das heutige Deutschland rehabilitieren. Aber die zuständigen Behörden und Gerichte verweigern diese Rehabilitierung stets dann, wenn damit auch das (noch in Staatshand befindliche) Vermögen zurückzugeben oder entsprechend zu entschädigen wäre. Damit aber entscheiden sie widerrechtlich, weil sie (siehe oben) die Gesetzeslage falsch verstehen. Hat Russland rehabilitiert, müsste das eingezogene Vermögen zurückgegeben werden. Das kann Russland nicht, denn das Vermögen ist im Besitz des deutschen Staates. Der aber verweigert die Rückgabe – auch mit der Behauptung, die russischen Rehabilitierungen seien rechtlich nicht einwandfrei erteilt worden.

11) Beginnend mit seinem Urteil vom 21. Februar 2002 (BVerwG 3 C 16.01) und letztlich schon „eingeläutet“ mit seinem Beschluss vom 16. April1993 (BVerwG 7 B 3.93).

12) Urteil vom 29. Juni 1996 (BVerwG 7 C 61.94). Seitdem läuft das VwRehaG, abgesehen von den „Zwangsaussiedlungen, leer.

13) Wohl hat es eingeräumt, dass es sich nicht um einen sozialisierenden Verstaatlichungszweck (also nicht um eine bloße Enteignung) gehandelt hat, gleichwohl aber nicht festgestellt, worum es denn dann damals gegangen ist. Den tatsächlichen Sachverhalt zu ermitteln, hat es pflichtwidrig unterlassen und die Unterlassung wiederum mit dem erfundenen Rückgabe- und Rehabilitierungsverbot begründet (Aktenzeichen: OLG Dresden 1 Reha Ws 98/09).

14) Dies hat inzwischen auch die Enquete-Kommission des brandenburgischen Landtages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eindeutig festgestellt.