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Schwarzbuch

Prof. Dr. Manfred Wilke - Der Aufbau der "Grundlagen des Sozialismus"- die II. Parteikonferenz der SED 1952 - Plan und Fiasko


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Referat auf der Tagung der Stiftung Ettersberg : Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953, Erfurt 13. April 2013

Die II. Parteikonferenz SED setzte 1952 den Schlussstein zur der endgültigen Spaltung des Landes in zwei verfeindete Teilstaaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen. Der zwischen den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges nicht entschiedene ordnungspolitische Systemkonflikt um und in Deutschland zwischen parlamentarischer Demokratie und Marktwirtschaft im Westen und der Sowjetisierung der sowjetischen Besatzungszone wurde durch seine Teilung eingefroren. Ohne diesen weltpolitischen Zusammenhang lässt sich dieser „Aufbau der Grundlagen des Sozialismus“ in der DDR weder erklären noch im Rückblick heute verstehen.

Mein Referat gliedert sich in drei Teile: 1. die weltpolitische Konstellation in der deutschen Frage, 2. der Plan zum Sieg im deutschen Systemkonflikt und 3. das Fiasko und die sowjetische Kurskorrektur nach Stalins Tod.

  1. Blockintegration der beiden Teilstaaten

Der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Konrad Adenauer (CDU) war wie sein Kontrahent SED-Generalsekretär Walter Ulbricht in der DDR ein Realist, beide gingen von einer längeren Teilung Deutschlands aus. Die 1949 gegründeten deutschen Teilstaaten standen weiterhin unter Besatzungsherrschaft. Adenauers Ziel war die Partnerschaft der deutschen Demokratie mit den freien Völkern des Westens. Das schien ihm auch der richtige Weg zu sein, um als Fernziel die Sowjetunion doch noch zu bewegen, der Einheit Deutschlands in Freiheit zuzustimmen und ihren Vasallenstaat DDR aufzugeben.

Die vorrangigen außenpolitischen Ziele Adenauers waren miteinander verwoben. Die Rückgewinnung staatlicher Souveränität für den Weststaat und die dauerhafte Verankerung der deutschen Demokratie als gleichberechtigter Partner im westlichen Bündnis bedingten sich einander. Eine Neutralität Deutschlands zwischen den weltpolitischen Lagern, die jeweils von den USA und der Sowjetunion geführt wurden, lehnte er ab.

Der Ausbruch des Koreakrieges im Juni 1950 wirkte wie ein Katalysator für die Westbindung der Bundesrepublik. Adenauer bot in dieser weltpolitischen Konstellation im September 1950 den Westmächten die Aufstellung deutscher Truppen im Rahmen einer westeuropäischen Verteidigungsgemeinschaft an. Im Gegenzug verlangte er die Wiederherstellung der Souveränität der Bundesrepublik und damit das Ende der Besatzungsherrschaft. Noch vor dem Memorandum von Adenauer hatten sich die USA und Großbritannien prinzipiell intern darauf verständigt, die Bundesrepublik in die militärische Verteidigung Westeuropas im Rahmen einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) einzubinden. Die Aufstellung deutscher Streitkräfte im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft erschien damals den USA als eine Notwendigkeit, um dem militärischen Druck der Sowjetunion in Europa erfolgreich begegnen zu können.

Dieses sicherheitspolitische Ziel setzte eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses der Westmächte zu der „ja immer noch unter Besatzungsstatut stehenden Bundesrepublik voraus: Die militärische Besetzung mußte in eine Schutzfunktion für die Bundesrepublik verwandelt, diese zu einer Art > Junior- Partner< mit erheblich mehr Rechten als bisher werden. An die Stelle einseitiger mußten wechselseitige Verpflichtungen treten.“1

Adenauer war mit dieser Änderung der Politik der Westmächte seinem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Die USA, Großbritannien und Frankreich erklärten ausdrücklich, dass sie den Wunsch nach Wiedervereinigung Deutschlands auf „einer Basis, die Grundrechte respektiert“, anerkennen. Bis zur Vereinigung erkennen sie nur „die Regierung der Bundesrepublik als die einzige frei und gesetzlich konstituierte deutsche Regierung“2 an. Die Bundesrepublik wurde für ihre Verbündeten 1955 zum legitimen Sprecher Deutschlands in internationalen Angelegenheiten.

Es sollten noch 1 1/2 Jahre vergehen, bis im Mai 1952 der EVG-Vertrag und der mit ihm verknüpfte Deutschland-Vertrag („Generalvertrag“) unterzeichnet wurde. Beide Verträge scheiterten in der französischen Nationalversammlung. Die militärische Ersatzlösung für die EVG war schnell gefunden: die Bundesrepublik sollte nun eine eigene Armee, die Bundeswehr aufstellen, die voll in die NATO-Struktur integriert wurde. Danach wurden die „Pariser Verträge“ zu denen der Deutschland-Vertrag zählte im Oktober 1954 unterzeichnet und von den Parlamenten ratifiziert. Der Deutschland-Vertrag trat Am 5. Mai 1955 in Kraft. hob das Besatzungsstatut der Westmächte auf, in Art. 1, Abs. 2 hieß es: „Die Bundesrepublik wird demgemäß die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben.“3 „Die Bundesrepublik war jetzt erst als ein quasi neu geschaffener Staat unter Staaten ins Leben gerufen worden.“4 Adenauer hatte sich innen- und außenpolitisch mit der Westbindung der Bundesrepublik durchgesetzt.

Zurück in das Jahr 1950, sowohl die Sowjetunion als auch die SED verstanden die Tragweite dieser Politik der Westbindung Adenauers; sie verschob das Kräfteverhältnis in Europa zu Gunsten des Westens. Der Chef der Sowjetischen Kontrollkommission in der DDR, General Wassili I. Tschuikow, informierte das sowjetische Außenministerium über die Einschätzung der Pläne zur westdeutschen Aufrüstung durch SED-Generalsekretär Walter Ulbricht. Er „gehe von der planvollen Realisierung der Remilitarisierung durch die Amerikaner aus. Außenminister Andrej Wyschinski Teil der offenbar dieser Einschätzung Ulbrichts und empfahl dem im Politbüro der KPdSU für Außenpolitik zuständigen Wjatscheslaw Molotow, die Bewegung deutscher Neutralisten im Interesse der UdSSR zu nutzen, >> weil sie die Verwirklichung der anglo-amerikanischen Pläne der Remilitarisierung Deutschlands erschweren <<.“5 Dieser Rat entsprach auch Ulbrichts Vorschlag an die sowjetische Führung, „die SED sollte nicht gegen die Befürworter einer Neutralisierung Deutschlands auftreten, >>sondern versuchen, […] mit Ihnen einen gemeinsamen Kampf gegen die Remilitarisierung und gegen die Einbeziehung Westdeutschlands in das Nordatlantikbündnis zu organisieren<<.“6 Ulbricht war sich der Schwäche der KPD in der Bundesrepublik bewusst, ihre Kräfte waren zu schwach, um Adenauers Politik zu durchkreuzen. Zumal die drei westlichen Besatzungsmächte der Bundesrepublik im Gegenzug die Souveränität anboten. Nach Einschätzung des SED-Generalsekretärs musste die Sowjetunion auf internationaler Ebene selbst auf den Plan treten, um die Politik der Amerikaner in Westdeutschland zu stoppen, schließlich hatten sich die vier Mächte das Recht vorbehalten zunächst gemeinsam über einen deutschen Friedensvertrag zu verhandeln. Angesichts dieser Zuständigkeit der vier Siegermächte schlug Ulbricht im Februar 1951 vor, „dass die Sowjetunion selbst in der einen oder anderen Form einen Vorschlag Ulbricht über die Neutralisierung Deutschlands mit dem Ziel der Entlarvung der amerikanischen Kriegshetzer einbringen solle“.7

Trotz ihrer Schwäche sollte es die Aufgabe der KPD sein, eine mächtige außerparlamentarische Volksbewegung in der Bundesrepublik organisieren. Ihre Mitglieder in den DGB-Gewerkschaften wurden von der KPD verpflichtet in den Betrieben Streiks gegen die „Remilitarisierung“ auch gegen den Willen sozialdemokratischer Gewerkschaftsvorstände auszulösen. Vor allem sollte das Volk über die Pläne der Bundesregierung aufgeklärt werden, denn dieses Vorhaben sechs Jahre nach dem Krieg im entmilitarisierten Deutschland eine Armee aufzustellen war nicht populär. Die Agitation der KPD sollte die „psychologischen Voraussetzungen für den Sturz der volksfeindlichen Adenauer-Regierung schaffen sowie für die Zerschlagung und Isolierung der anderen Agenten des ausländischen Imperialismus in Westdeutschland.“8

Die KPD galt damals in der westdeutschen Öffentlichkeit als Vertreter sowjetischer Interessen, eine Sicht die SED- und KPD-Aktivisten in ihrer ideologischen Orientierung auch selber so sahen. Die devote Huldigung Stalins durch Ulbricht bringt diesen Glauben an die Sowjetunion klar zum Ausdruck: „Das Lager des Friedens wird geführt von der sozialistischen Sowjetunion mit dem Führer der Völker, dem großen Stalin, an der Spitze.“9 Vor dem Hintergrund des Korea-Schocks“ konnte die westdeutsche Öffentlichkeit und Politik diese Linie von SED und KPD kaum anders denn „als unmittelbare Kampfansage gegen die Bundesrepublik gewertet werden.“10

Das kommunistische Kampfziel war erklärtermaßen, eine außerparlamentarische Massenbewegung zu mobilisieren, um den Beitritt der Bundesrepublik mit eigenen Streitkräften zu einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu stören oder gar zu verhindern.

Diesem Ziel diente auch im März 1952 die „Stalin-Note“, in der die Sowjetunion Frankreich, Großbritannien und den USA Verhandlungen über ein neutrales wiedervereinigten Deutschlands anbot. Diese lehnten ebenso wie die Bundesregierung diese Verhandlungen ab.11

Für Adenauer war die die Note keine Überraschung und bestätigte seine Einschätzung der weltpolitischen Lage und der Interessen der Sowjetunion in dieser heißen Phase des Kalten Krieges. „Ich bin seit Jahr und Tag bei meiner ganzen Politik davon ausgegangen, daß das Ziel Sowjetrußland ist, im Wege der Neutralisierung Deutschlands die Integration Europas zunichte zu machen, … [um] damit die USA aus Europa weg zu bekommen und im Wege des kalten Krieges Deutschland, die Bundesrepublik, und damit auch Europa in seine Machtsphäre zu bringen.“12

Der Kampf von SED/KPD in Abstimmung mit der sowjetischen Deutschlandpolitik gegen Westbindung und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1950-1952 wurde für die Kommunisten im Westen zu einem politischen Fiasko. Eine direkte Folge dieser Auseinandersetzung war das Verbot der KPD 1956 durch das Bundesverfassungsgericht. Ganz anders war das Ergebnis für die SED in der DDR, die SED bekam grünes Licht von Stalin, um in der DDR die Grundlagen des Sozialismus aufzubauen.

 

  1. Die II. Parteikonferenz- Der Plan zum Sieg im deutschen Systemkonflikt

Nach Vorgesprächen von Pieck in Moskau hatte das SED-Politbüro eine solche Konferenz im Februar 1952 beschlossen, die im Juli stattfinden sollte. Das ursprüngliche Thema der Parteikonferenz war die Behebung der in der „Parteisäuberung“ 1950-Oktober 1951 „sichtbar gewordenen ‚Mängel im ideologischen und organisatorischen Zustand der Partei.“13 Ulbricht hob die Bedeutung der innerparteilichen Wahlen in der SED und die Notwendigkeit neue Kräfte, „die sich bewährt haben, zum Parteiaktiv"14 heranzuziehen. Ein notwendiger Schritt, den im Zuge der „Parteisäuberung“, wie der beschönigende Propagandabegriff für Repression, Verhaftungen und soziale Ächtung hieß, war die Mitgliederzahl der SED nach ihrer eigenen Statistik im Vergleich zum Dezember 1950, „von 1.573.000 um rund 317.000 oder 20 % auf 1.256.000 zurückgegangen."15 Im Entwurf der Direktive zur Parteikonferenz war vom Aufbau des Sozialismus in der DDR noch keine Rede, im Vordergrund stand der Kampf um den Frieden und die Wiederherstellung eines „demokratischen“ Deutschlands.

Die Westmächte hatten die Deutschland-Note der Sowjetunion vom 10. März abgelehnt. Pieck, Ulbricht, Grotewohl und Fred Oelßner fuhren nach Moskau, um die künftige Linie der SED zu besprechen. Es kam zu zwei Treffen zwischen Stalin und Mitgliedern des Politbüros der KPdSU und der SED-Delegation am 1. Und 7. April. „Als Pieck am 1. April vorsichtige ‚Schritte zur Bildung der Volksarmee statt Polizei‘ ansprach […], verlangte Stalin gleich eine umfassende Bewaffnung: >nicht Schritte< sondern sofort<. Sodann entwickelte er auch schon Einzelheiten: > 9–10 Armeekorps –30 Divis[ionen] – 300.000 [Mann]/Ausbildung in SU/Jugenddienst‘ usw.<

Am 7. April notierte Pieck Stalins Bewertung der westlichen Antwortnote, „bisher alle Vorschläge abgelehnt“ [..:] „Keine Kompromisse/[...] Atlantikpakt – selbständiger Staat im Westen,“ Stalin stimmte der Propaganda der SED zu, die nun verstärkt zum „Kampf" gegen die Bonner Regierung aufrief.16 „Einheit – Friedensvertrag – weiter agitieren“, notierte Pieck.17 Nun präzisierte Stalin seine Aufrüstungspläne für die DDR, nicht nur „>militärische Ausbildung für Inf[antrie], Marine, Aviation, Unterseeboote<, sondern drängte auch auf schnelles Vorgehen: >Bewaffnung muss geschaffen werden, sofort russische Gewehre mit Patronen<.“ Der Grund für diese Eile war die Einschätzung der innerdeutschen Demarkationslinie als einer gefährlichen Grenze. Stalin: „Wir müssen mit terroristischen Akten rechnen.“ Wichtiger noch für die weitere Entwicklung in der DDR wurde Piecks Information von „> steigende[n] Aktivitäten des Feindes und dabei insbesondere der, Großbauern< und der >Kirche<. Stalin gab den Rat, >um [die] Großbauern einzukreisen […] auch Produktiv-Genossenschaften im Dorfe zu schaffen< und im Zusammenhang mit diesen, >Kolchosen‘< sprach er zum ersten Mal, vom Weg zum Sozialismus.“18 Stalins Konklusion war schließlich, „faktisch wird in Westdeutschland ein selbstständiger Staat organisiert. Ihr müsst auch euren eigenen Staat organisieren.“ 19 Das war die Absicht der SED-Spitze, aber sie waren abhängig von Stalins Plazet.

Die erste Konsequenz aus diesem Gespräch war, das Stalin im Mai 1952 entschied, die Grenze zur Bundesrepublik muss befestigt werden. Eilig fasste das SED-Politbüro einen entsprechenden Beschluss und Ministerpräsident Otto Grotewohl beauftragte dem Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser unverzüglich Maßnahmen zum Schutz der Grenze zu treffen. Danach sollte die Deutsche Grenzpolizei entlang der Zonengrenze einen 10 m breiten Kontrollestreifen umzupflügen, Straßen und Eisenbahnverbindungen bis auf die Grenzübergangsstellen zu unterbrechen und eine 5 km breite Sperrzone entlang der Grenze einzurichten. Teil der Operation Grenzschließung war die „Aktion Ungeziefer“, durch die ca. 11.000 als unzuverlässig eingestufte Menschen aus dem Sperrgürtel ausgesiedelt wurden. Neun Jahre vor der Berliner Mauer wurde dieser Stacheldraht durch Deutschland zum Symbol seiner Teilung.

Die SED-Herrschaft hatte im Vergleich zur Bundesrepublik ein Legitimationsdefizit, ihre Machtpositionen in der SBZ konnte sie nur als „Gehilfe“ nur der sowjetischen Besatzungsmacht erringen.20 1947 wurde die SED-Spitze bei Stalin vorstellig, im Gegenzug zur absehbaren Staatsgründung im Westen, wollten sie nun in der SBZ ebenfalls ihren Teilstaat ausrufen. Dieser Vorstoß scheiterte, Stalin erlaubte lediglich den Aufbau eines zentralisierten Staatsapparates in Gestalt der „Deutschen Wirtschaftskommission“ und entschied mit der Staatsgründung selbst sollte die SED-Führung warten bis die Bundesrepublik gegründet war. Stalin wollte nicht das Odium auf sich nehmen, dass die Sowjetunion für die Spaltung Deutschlands verantwortlich war. Mit der Staatsgründung 1949, als die UdSSR der SBZ „Staatsqualität zubilligte“21 hatte die SED gehofft, die Moskauer Zentrale würde ihr eigenständigen Entscheidungsbefugnisse gewähren, aber der DDR-Regierung wurden „nur administrative Kompetenzen – also allein das Recht zur ausführendem Handeln – übertragen“.22

Im April hatte Stalin die SED-Spitze aufgefordert, sie sollte nun ihren eigenen Staat organisieren. Pieck und Ulbricht wussten entscheidend war, ob Stalin die SED nach den Parteisäuberungen nun für eine regierungsfähige kommunistische Partei hielt oder nicht. Wenige Tage vor der Parteikonferenz richtete das SED-Politbüro deshalb an 2. Juli 1952 an Stalin die Anfrage, wie er die Entwicklung der SED einschätzt. Es war die Frage, ob die sowjetische Führung der SED zutraut den Sozialismus in der DDR aufbauen zu können. Die zwei anderen Fragen berücksichtigten die sowjetische Interessenlage in Ihrer Deutschlandpolitik. Welchen Charakter hat die „Adenauer-Regierung“ und „welches Entwicklungsstadium haben wir in der DDR erreicht?“.23 Die „Adenauer-Regierung“ wurde von der SED als eine „Vasallenregierung der USA“ charakterisiert. Im Gegensatz zum Weststaat wurde die Bedeutung der DDR für den zukünftigen Weg Deutschlands hervorgehoben. Die SED behauptete, die Weiterentwicklung der DDR zur Volksdemokratie würde eine mobilisierende Wirkung auf die Arbeiterklasse in Westdeutschland ausüben. Die Voraussetzung für diese Perspektive einer positiven Entscheidung des Systemkonflikts zu Gunsten des Sozialismus in Deutschland sei somit der Aufbau des Sozialismus in der DDR und ihre „Sicherung“ als SED-Staat. Der Brief verknüpfte plausibel die Machtinteressen der SED-Führung mit den deutschlandpolitischen Interessen der Sowjetunion.

Das erklärte Ziel der II. Parteikonferenz der SED war ein Aufbruchsignal, um die Überlegenheit des Sozialismus in Deutschland in der DDR vorbildlich zu demonstrieren. Darin sah die SED die entscheidende Voraussetzung für den weiterhin propagierten Sturz der „Adenauer-Regierung“ durch die Arbeiterklasse und die westdeutschen Patrioten. Am 8. Juli 1952, erst vier Tage vor dem Beginn der Parteikonferenz, übermittelte das Zentralkomitee der KPdSU seine Zustimmung für den Kurs der SED, die Grundlagen des Sozialismus in der DDR beschleunigt aufzubauen.24 Im Selbstverständnis des Generalsekretärs Ulbricht war nun die Stunde der eigenen Revolution gekommen, auf sie laufen alle Maßnahmen hinaus, die 1952 in der DDR eingeleitet und umgesetzt wurden.

Die Kommunisten wollten immer einen zentralisierten Einheitsstaat, über den der zentrale Parteiapparat der SED uneingeschränkt verfügen konnte. Unmittelbar nach der Parteikonferenz wurden die sechs Länder in der DDR aufgelöst und durch 14 Bezirke ersetzt. Damit wurden zugleich „die Reste von Föderalismus und Selbstverwaltung beseitigt“25. Ulbricht stimmte die Delegierten darauf ein, „daß der Aufbau des Sozialismus unter den Bedingungen des verschärften Klassenkampfes erfolgt.“26

Die Staatsmacht blieb für den Parteiapparat der SED bis zu ihrem Ende das wichtigste Instrument, um den Sozialismus in ihrem deutschen Teilstaat aufzubauen und zu sichern. Der Sozialismus brauchte den entschiedenen Bruch mit dem „bürgerlichen Recht“ und der Unabhängigkeit der Justiz. „Die SED hat die Instrumentalisierung der Justiz zum politischen Zweck planmäßig und zielbewusst herbeigeführt“27. 1952 wurde die Justizverwaltung zentralisiert und das Gerichtsverfassungsgesetz geändert. „Danach hatte Rechtsprechung >>dem Aufbau des Sozialismus, der Einheit Deutschlands und dem Frieden<< zu dienen“28. Richter und Staatsanwälte wurden zu politischen Funktionären der Staatspartei, die die Personalpolitik in der Justiz bestimmte; so waren nach der Auflösung der Länder die 14 Direktoren der Bezirksgerichte alle SED-Mitglieder29. Nachdem die SED die Justiz für ihre Zwecke der Transformation der DDR-Gesellschaft ausgerichtet hatte, wurde nun die Justiz in Dienst genommen. Mit dem „Gesetz zum Schutz des Volkseigentum“ vom 2. Oktober 1952 wurde eine gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Druck zur Kollektivierung der Landwirtschaft und der Zusammenfassung der Handwerker in Produktionsgenossenschaften „legal“ ins Werk zu setzen. Ein weiteres Ziel dieses Gesetzes war, die Arbeits- und Staatsdisziplin unter den „Werktätigen“ zu stärken Der Generalstaatsanwalt Melsheimer gab im Mai 1953 Auskunft über den „Erfolg“ des Gesetzes:

„Zwischen Oktober 1952 und März 1953 zählte Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer nicht weniger als 7000 Verfahren mit rund 10.100 Personen allein wegen Verstößen gegen dieses Gesetz.“30

Die Kollektivierung der Landwirtschaft Wein der Sowjetunion war eine der Voraussetzungen für den „Sieg des Sozialismus“. Diesen Weg beschritt auch die SED. 1950 gab es auf dem Gebiet der DDR „889.000 landwirtschaftliche Betriebe, davon ca. 95 % in privater Hand. Sie bewirtschafteten etwa 95 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche.“31

1952 war die bereits eingeleitete soziale Liquidierung der Großbauern weitgehend abgeschlossen. Nun war das Ziel der SED-Landwirtschaftspolitik „die Kollektivierung der Klein und -Mittelbauern vor dem Hintergrund massiver Versorgungsprobleme mit Grundnahrungsmitteln.“32 Die Politik der Kollektivierung sollte das Versorgungsproblem noch erhöhen, die Zahl der neu gegründeten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften stieg nur langsam, dafür stiegen die Zahlen der geflüchteten Bauern. Ein weiterer Faktor der Versorgungskrise war die „Liquidierung des privaten Großhandels und Transportgewerbes“33. Die Kampagne begann im Dezember 1952.. Die politische Linie für die Aktion der Volkspolizei formulierte Ulbricht auf der ZK-Tagung der SED vom 21. Januar 1953: „Konzentration des Großhandels in den Händen der staatlichen Handelsorgane“34. Die Durchführung dieser Kampagne führte erneut zu Verhaftungen, die Beschlagnahme von Betrieben, die Einziehung von privaten Vermögen und zur Überraschung der Parteifunktionäre zur Solidarisierung der Belegschaften mit ihrem Unternehmer. Diese Kampagne wurde erst durch den Neuen Kurs gestoppt. Der Beitrag der Justiz zum Klassenkampf von oben des SED-Parteiapparates in der DDR fand seinen Ausdruck „in der Entwicklung der Zahl an Straf- und Untersuchungshäftlingen. Sie wuchs parallel von Kampagne zu Kampagne und erreichte im Mai 1953 (ohne Ost-Berlin) mit 61.400 Häftlingen ihren Höhepunkt“35. Diese Zahlen sind der Hintergrund für die Belagerung von rund 70 Haftorten in der DDR am 17. Juni 1953 und der Befreiung von etwa 1500 Häftlingen, davon waren zwei Drittel politische Häftlinge aus „27 Haftorten“36.

Am 9. April 1953 wurde die Vergabe von Lebensmittelkarten in der DDR neu geregelt. Selbstständigen und „Grenzgängern“, Arbeitnehmer die in Ost-Berlin oder der DDR wohnten aber in West-Berlin arbeiteten, bekamen keine Lebensmittelkarten mehr. In der Begründung der Verordnung hieß es, da sie den Kauf ihrer Lebensmittel aus ihrem Einkommen selbst bestreiten könnten, stünden ihnen keine Lebensmittelkarten mehr zu.37

Für den Aufbau des Sozialismus benötigte die SED auch eigene Konzeptionen in der Bildungs- und Kulturpolitik. „Nun sollten Kinder und Jugendliche nur so erzogen werden, daß sie nicht nur >>fähig und bereit waren<< waren, den Sozialismus aufzubauen, der polytechnischen Unterricht sollte sie zudem in die Grundlagen der Produktion einführen. Die Hochschulen wurden einheitlich von einem Staatssekretär verwaltet.“38

In der Kunstpolitik galt nun die sowjetische Linie als Maßstab für die „Kulturschaffenden“ der DDR. Um den ideologischen Führungsanspruch der SED durchzusetzen, begann sie den aktiven Kampf gegen die Kirchen, besonders gegen die Jugendorganisation der evangelischen Kirche, die Junge Gemeinde, die an Schulen und Hochschulen vertreten war. „Ende 1952 verschärfte die SED die Gangart. Man beschloss, zu >>administrativen Maßnahmen<< überzugehen. […] Ab März wurde eine Reihe ihrer Mitglieder vom weiteren Besuch der Oberschulen oder Universitäten ausgeschlossen“39.

Im Mai 1953 fasste das Zentralkomitee der SED den Beschluss über die Arbeitsnormen für die Arbeiter in der Industrie, sie sollten „insgesamt um mindestens 10 Prozent erhöht werden“40. Das war die einzige Antwort der Staatspartei auf eine Reihe von Arbeitsniederlegungen in den Betrieben gegen diese Lohnsenkung am Ende von 1952. Die SED beharrte auf der Erhöhung der Arbeitsnormen für die angeblich „herrschende Klasse“ im Sozialismus. Auch der „ Neue Kurs“ aus Moskau nahm keine Korrektur der Erhöhung der Arbeitsnormen vor.

Sicherheitspolitisch grenzte die SED 1952 durch die Befestigung der Zonengrenze einschließlich der Grenzschließung bis auf wenige Grenzübergangsstellen ihren Staat von der Bundesrepublik ab. Die Struktur der Repressionsinstrumente der Diktatur war geschaffen: 1. die abschließende Ausrichtung der Justiz auf die politische Linie der SED, 2. der Aufbau des Ministeriums für Staatssicherheit und 3. die Aufstellung einer Volksarmee. Über den Geist dieser Armee sagte Ulbricht 1952: „Die nationalen Streitkräfte sollen erfüllt sein vom Haß gegen die amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten, die die Bevölkerung der doppelten Versklavung unterwerfen wollen. Sie werden erfüllt sein vom Willen zur Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes "41.

  1. Fiasko und Kurskorrektur nach Stalins Tod

Dieser Plan der SED mit dem Aufbau der Grundlagen des Sozialismus den Systemkonflikt für sich zu entscheiden, widersprach der innerdeutschen Realität. In der Bundesrepublik nahm der wirtschaftliche Aufstieg Gestalt an, während die Wirtschaft der DDR in ihrer Leistungsfähigkeit durch Reparationen, die Aufrüstung und die wirtschaftspolitische Schwerpunktsetzung der SED auf den Aufbau von Schwerindustrie und Maschinenbau zu Versorgungsmängel führten, die infolge der Kollektivierung der Landwirtschaft und des privaten Einzelhandels sich noch verschärften. Die Folge war die erste große Fluchtwelle die zusätzlich die DDR in eine Krise führten, es fehlte an Arbeitskräften, die in Westdeutschland hoch willkommen waren.

Die Flüchtlingszahlen waren nach Stalins Tod am 5. März 1953 für die sowjetische kollektive Führung der Anstoß, um sich mit der Krise der DDR zu befassen.

Die SED-Führung selbst hatte bereits zum Jahreswechsel 1952/53 um Hilfe gebeten. Der Vorsitzende der staatlichen Plankommission Heinrich Rau hat in einer umfänglichen Analyse vor der Überforderung der Leistungsfähigkeit der DDR-Wirtschaft gewarnt, die durch die Überbetonung der Schwerindustrie und des Maschinenbaus hervorgerufen wird. Beide Branchen wurden verstärkt mit Ressourcen versorgt, um die sowjetischen Reparationsinteressen und die beginnende Aufrüstung zu bedienen. Ein erster Schritt der sowjetischen Regierung auf die Bitten der DDR erfolgte im April 1953, als der DDR sowjetische Hilfe in Aussicht gestellt wurde. Zum gleichen Zeitpunkt analysierten in Moskau das Außen- und Innenministerium die Lage in der DDR und am 14. Mai beriet das Präsidium des Ministerrates der UdSSR die DDR-Fragen. „Alle Beteiligten waren sich darüber einig, daß die forcierte Sozialisierungspolitik des Regimes destabilisierend wirke und dem ‚Kampf um die Vereinigung Deutschlands auf friedliebender und demokratischer Grundlage’ schade. Ulbricht galt, ohne ausdrücklich genannt zu werden, als Hauptexponent des situationsverschärfenden Kurses. Man kam überein, daß er die Kollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft nicht weiter voran treiben sollte. Die Kritik wurde deutlicher, als sich die Mitglieder der sowjetischen Führung am 20. Mai erneut mit der DDR befaßten. Dabei kamen sie u.a. auf den Personenkult zu sprechen, den der SED-Generalsekretär anläßlich seines bevorstehenden 60. Geburtstages veranlaßt hatte. Er wurde aufgefordert, auf Pomp zu verzichten und in bescheidenem Rahmen zu feiern.“42 Es ist an dieser Stelle wichtig zu unterstreichen, daß die sowjetische Führung ihrer Verantwortung als Siegermacht des Zweiten Weltkrieges für Deutschland bewußt, erneut die Frage diskutierte, ob man die DDR überhaupt brauche. In der Debatte um die Vorlage des sowjetischen Außenministeriums zur Deutschlandpolitik im Präsidium des sowjetischen Ministerrates am 27. Mai wurde dies deutlich ausgesprochen. Laut den Erinnerungen von Andrej Gromyko, die er 1989 publizierte, als die DDR noch existierte, vertrat der Innenminister Lawrenti Berija die Ansicht: „Die DDR? Was ist sie wert, die DDR? Sie ist ja noch nicht einmal ein richtiger Staat. Sie wird nur durch sowjetische Truppen am Leben erhalten, selbst wenn wir sie mit Deutscher Demokratischer Republik betiteln.“43 Die von Gromyko zitierte Replik von Wjatscheslaw Molotow unterstreicht die Bedeutung von Stalins Zustimmung vom Juli 1952 in der DDR die Grundlagen des Sozialismus aufzubauen:„Wir alle waren schockiert ob dieser politischen Unverfrorenheit und der Tatsache, daß er so abschätzig und mit grinsendem Gesicht von einem sozialistischen Land reden konnte. Die ernste Zurechtweisung kam von Molotow. Mit fester Stimme sagte er: ‚Die Demokratische Republik steht der Bundesrepublik in nichts nach. Ich verwahre mich auf schärfste gegen eine derartige Haltung gegenüber einem befreundeten Land. Es hat das Recht auf Existenz als unabhängiger Staat.’“44

Das Ergebnis der Beratungen war der „Neue Kurs“ für die DDR mit eindeutiger Schuldzuweisung für die entstandene Lage. Ursache waren die Beschlüsse der II. Parteikonferenz der SED, die vom Politbüro der KPdSU gebilligt wurden. Sie beruhten auf einer falschen Lageanalyse der Innen-und außenpolitischen Voraussetzungen. „Infolge der Durchführung einer fehlerhaften politischen Linie ist in der Deutschen Demokratischen Republik eine äußerst unbefriedigende politische und wirtschaftliche Lage entstanden. Unter den breiten Massen der Bevölkerung […] ist eine ernste Unzufriedenheit zu verzeichnen in Bezug auf die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen dienen der DDR durchgeführt wurden. Das kommt am deutlichsten in der massenhaften Flucht der Einwohner der DDR nach Westdeutschland zum Ausdruck. So sind von Januar 1903 51 bis zum April 1953 447.000 Personen nach Westdeutschland geflüchtet, darunter über 120.000 lediglich während der vier Monate des Jahres 1953.“45 Unter den 1953 geflohenen befanden sich auch 2718 Mitglieder der SED und 2610 der FDJ, notiert man in Moskau. Die kollektive Führung in Moskau beließ es nicht bei der Analyse, sondern formulierte auch den Inhalt der Kurskorrektur „zur Gesundung der politischen Lage in der DDR“:

  • keine Forcierung des Ausbaus der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, Recht der in die LPG gezwungenen Bauern zum Austritt;

  • Die Politik zur Beseitigung des „mittleren und kleinen Privatkapitals“ ist als eine „vorzeitige Maßnahme zu verwerfen“; die konfikatoische Besteuerung der Privatunternehmer und Handwerker und Freischaffenden ist zu revidieren;

  • „Maßnahmen zur Stärkung der Gesetzlichkeit und Gewährung der Bürgerrechte zu treffen, von harten Strafmaßnahmen, die durch Notwendigkeiten nicht hervorgerufen werden, abzusehen“ und eine Revision von politischen Urteilen vorzunehmen;

  • „Einem nackten administrieren im Bezug auf die Geistlichen ist Schluss zu machen und die schädliche Praxis der groben Einmischung der Behörden in die Angelegenheiten der Kirche ist einzustellen.“

  • Im Blick auf die Bundesrepublik soll die SED ihre Politik gegenüber der SPD „für die heutige Periode“ verändern und versuchen „gemeinsame Aktionen gegen die Adenauersche Politik der Spaltung und der imperialistischen Verknechtung Deutschlands zu organisieren.“ 46

Die sowjetische Führung präsentierte die Generalskritik an der Politik der II. Parteikonferenz und die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen zur „Gesundung“ der politischen Lage in der DDR Ulbricht, Grotewohl und dem verantwortlichen Sekretär für Propaganda des ZK und Politbüromitglied Oelßner in Moskau am 4. Juni 1953. Grotewohl notierte die Ausführungen der sowjetischen kollektiven Führung zur Kurskorrektur für die SED. „Der SED-Delegation trat eine geschlossen agierende ‚kollektive Führung’ gegenüber. Die Kritik an der SED und die verhaltene Selbstkritik an der sowjetischen Führung, mit anderen Worten, an Stalin, wurde anscheinend mit verteilten Rollen vorgetragen – so der Eindruck von Grotewohl in seinen spärlichen Notizen. Hierarchisch angemessen eröffnete Ministerpräsident Malenkow die Diskussion mit der Feststellung, daß der Ausgangspunkt der gemeinsamen Überlegungen eine neue Politik in ihrer Besatzungszone sein müsse: ‚Alles muß ausgehen von der Änderung der Verhältnisse in der DDR’. Auch Berija beschwichtigte: ‚Wir alle haben den Fehler mit gemacht; keine Vorwürfe’. Molotow griff diesen Gedanken auf und zielte auf die von Moskau gewünschte Wirkung der geplanten neuen Politik auf Westdeutschland: ‚So viele Fehler darum so korrigieren, daß ganz D.[eutschland] es sieht’.“47

Die Kurskorrektur sollte die DDR stabilisieren, aber das öffentliche Eingeständnis die unfehlbare kommunistische Partei habe Fehler gemacht, führte zum Gegenteil. Sie wirkte wie ein Signal für den offenen Ausbruch der Unzufriedenheit des Volkes. Es kam zu einer unplanmäßigen Einmischung der Staatsbürger der DDR am 16./17. Juni in ihre eigenen Angelegenheiten. Es war die erste „Entstalinisierungskrise“ im sowjetischen Imperium, sie fand ausgerechnet in der DDR statt, andere sollten ihre folgen.

Rudolf Herrnstadt hat diese Entwicklung geahnt, wie diese sowjetische Forderung nach dem Eingeständnis von Fehlern durch die SED auch wirken könnte und das Gegenteil eintrat von der in Moskau beabsichtigten Stabilisierung der DDR. Der damalige Chefredakteur des Neuen Deutschland, dem SED-Zentralorgan, bat den Hohen Kommissar der Sowjetunion Semjonow am 11. Juni 1953 die Veröffentlichung des am 9. Juni vom Politbüro der SED beschlossenen Kommuniqués zum Neuen Kurs um 14 Tage zu verschieben. Der abrupte Kurswechsel müsse Partei und Bevölkerung glaubhaft erklärt werden. „Darauf antwortete Gen [osse] Semjonow sehr scharf und von oben herab (offenbar empfand er meine Worte als Einmischung in seine Kompetenzen): >>In 14 Tagen werden Sie vielleicht schon keinen Staat mehr haben.<< Ich erwiderte, wenn er die Lage so einschätze, werde das Kommuniqué selbstverständlich morgen erscheinen.“48 Am 12. Juni 1953 stand im Neuen Deutschland das Schuldeingeständnis der SED für die entstandene Lage in der DDR: „Das Politbüro des ZK der SED ging davon aus, daß seitens der SED und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen wurden, die ihren Ausdruck in Verordnungen und Anordnungen gefunden haben.“49

1 Andreas Hillgruber: Deutsche Geschichte 1945-1986, Stuttgart 1989, S. 49.

2 Das New Yorker Kommuniqué der drei Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und der USA vom 19. September 1950, zitiert nach: Andreas Hillgruber, ebenda, S. 49.

3 Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten vom 20. Mai 1952 (in der Fassung vom 23. Oktober 1954), in: Dokumente des geteilten Deutschland, hrsg. von Ingo von Münch, Stuttgart 1968,S.230.

4 Andreas Hillgruber, ebenda, S. 59.

5 Peter Ruggenthaler (Hg.): Stalins großer Bluff, München 2007, S. 15.

6 Peter Ruggenthaler, ebenda, S. 15.

7 Peter Ruggenthaler, ebenda, S.15.

8 Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der KPD, in: Günther Judick, Josef Schleifstein, Kurt Steinhaus (Hg.): KPD 1945 - 1968 Dokumente, zwei Bände, Neuss 1989, Bd.1 S. 362.

9 Walter Ulbricht: Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der SED, in: Protokoll der II. Parteikonferenz der SED, Berlin (Ost) 1952,S. 21

10 Till Kössler: Abschied von der Revolution. Kommunisten und Gesellschaft in Westdeutschland 1945-1968, Düsseldorf 2005, S. 167.

11 Vgl. Gerhard Wettig: Bereitschaft zur Einheit in Freiheit? Die sowjetische Deutschland-Politik 1945-1955, München 1999;Peter Ruggenthaler: Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung, München 2007.

12 Adenauer Teegespräche 1950-1954, bearbeitet von Hans Jürgen Küsters, Berlin 1984, S. 227.

13 Werner Müller: Die zweite Parteikonferenz der SED 1952, in: Jürgen Maruhn (Hg.): 17. Juni 1953. Der Aufstand für die Demokratie, München 2003,S. 33

14 Walter Ulbricht: Zur Vorbereitung der zweiten Parteikonferenz, in derselbe: Fragen der Parteiarbeit, Berlin (Ost) 1960, S. 322

15 Ulrich Mählert:>>Die Partei hat immer recht!<< Parteisäuberungen als Kaderpolitik in der SED (1948-1953), in: Hermann Weber/Ulrich Mählert (Hg.) Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936-1953, Paderborn 1998,S. 418

16 So Walter Ulbricht im Neuen Deutschland am 28. März 1952

17 Wilfried Loth: Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte, Berlin 1994, S. 185

18 Loth, Ebd., S. 186 -187. Zum Komplex sowjetische Deutschlandpolitik und Remilitarisierung der DDR vgl. Gerhard Wettig: Bereitschaft zu Einheit in Freiheit? Die sowjetische Deutschlandpolitik 1945–1955, München 1999.

19 zitiert nach: Mario Frank: Walter Ulbricht, Berlin 2001, S.235

20 Vgl. Manfred Wilke (Hrsg.): Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, Berlin 1998

21 Gerhard Wettig: Bereitschaft zur Einheit in Freiheit? Ebenda., S. 175

22Gerhard Wettig: Bereitschaft zur Einheit in Freiheit? Ebd.

23 Brief es Politbüros an J.W. Stalin, in Günter Benser: Als der Aufbau des Sozialismus verkündet wurde, Berlin 2002, S. 57

24 Vgl. Andreas Malycha: Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953, Paderborn, München, Wien, Zürich 2000, S. 461

25 Hermann Weber: Die DDR 1945-1986, München 1988,S. 36

26 Ulbricht: Die gegenwärtige Lage, ebenda, S. 61.

27 Karl Wilhelm Fricke: Der Wahrheit verpflichtet. Texte aus fünf Jahrzehnten zur Geschichte der DDR, 2000,S. 254

28 Werner Müller: Die zweite Parteikonferenz der SED 1952, ebenda,S. 39

29 Falco Werkentin:Der totale soziale Krieg - Auswirkungen der 2. Parteikonferenz 1952, in: (Hg.) Hermann Weber,u.a. Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 2002, Berlin 2002,S. 31

30Werner Müller: Die zweite Parteikonferenz der SED 1952, ebenda,S. 39

31 Falco Werkentin:Der totale soziale Krieg, ebenda,S. 34

32 Falco Werkentin:Der totale soziale Krieg, ebenda,S. 35

33Falco Werkentin:Der totale soziale Krieg, ebenda,S. 39

34 Falco Werkentin:Der totale soziale Krieg, ebenda,S. 41

35 Falco Werkentin:Der totale soziale Krieg, ebenda,S. 47

36 Udo Grashoff: wir wollen freie Menschen sein! Der DDR- Volksaufstand vom 17. Juni 1953, Herford 2013,S. 56

37 Entzug der Lebensmittelkarten für Grenzgänger und Selbstständige, in: 17. Juni 1953,hrsg. Ilse Spiimann/Karl Wilhelm Fricke, Köln 1982,SSSSS. 177

38 Hermann Weber: Die DDR 1945-1986, ebenda,S. 36

39 Werner Müller: Die zweite Parteikonferenz der SED 1952, ebenda,S. 41

40 Werner Müller: Die zweite Parteikonferenz der SED 1952, ebenda,S. 43

41 Ulbricht: Die gegenwärtige Lage, ebenda, S. 76

42 Gerhard Wettig: Bereitschaft zur Einheit und Freiheit, a.a.O., S. 243

43 Andrej Gromyko: Erinnerungen. Internationale Ausgabe, Düsseldorf, Wien, New York 1989, S. 441

44 Ebd.

45 Anweisungen der sowjetischen Führung, Anlage zum Protokoll der Politbürositzung der SED vom 5. Juni 1953, zitiert nach Rolf Steininger: Deutsche Geschichte in vier Bänden,Bd.2, Frankfurt am Main 2002,S.

46 Anweisungen der sowjetischen Führung, ebenda, S. 242-246

47 Manfred Wilke/Tobias Voigt: „Neuer Kurs“ und 17. Juni – Die zweite Staatsgründung der DDR 1953, in: Andras B. Hegedüs, Manfred Wilke (Hrsg.): Satelliten nach Stalins Tod. Berlin 2000, S. 45

48 Rudolf Herrnstadt: Das Herrnstadt-Dokument. Das Politbüro der SED und die Geschichte des 17. Juni 1953 (hrsg.) Nadja Stulzs-Herrnstadt, Reinbek 1990,S. 75

49 Dokumente der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Band IV. Berlin (Ost 1954),S. 428

 

Quelle :  Vortrag auf dem
Tagesseminar „Der Volksaufstand vom 17. Juni1953. Ursachen, Akteure, Folgen Ein
Rückblick nach 60 Jahren“ der Stiftung Ettersberg und der Landeszentrale für politische
Bildung Thüringen am 13. April 2013 in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in
Erfurt.