Woran der Rechtsstaat leidet...Ein Plädoyer für die Einsetzung des Strafrechts gegen schuldige Politiker---Von Karl Feldmeyer
Thema: Politische Verfolgung 1945-49 | | Jul, 7
Von Karl Feldmeyer
Die Wiedervereinigung in Freiheit ist das herausragendste Ereignis in der 60-jährigen Geschichte der Bundesrepublik. Dessen ungeachtet liegt der Schatten des Rechtsbruchs über diesem Ereignis: Die Beibehaltung der sogenannten “Boden- und Industriereform” der DDR. Die politische Verantwortung für die Beibehaltung der “Boden- und Industriereform” liegt vor allem beim damaligen Innenminister Schäuble und bei Bundeskanzler Kohl. Was bis heute irreführend als “Boden- und Industriereform” bezeichnet wird, war nicht nur die entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer und Unternehmer. Ihr Zweck war die Vernichtung des Mittelstandes und die Vertreibung derer, die es gewohnt waren, selbständig zu urteilen und zu entscheiden.
Als die Bundesregierung dem Bundestag den Einigungsvertrag vorlegte, begründete Bundeskanzler Kohl die Beibehaltung der “Boden- und Industriereform” mit dem Argument, dies sei “conditio sine qua non” der Sowjetunion. Ohne die Hinnahme dieser Bedingung werde Moskau seine Zustimmung zur Wiedervereinigung verweigern, sagte der Kanzler. Längst ist belegt, dass diese Behauptung frei erfunden war.
Politische Lüge: Die Sowjetische Bedingung
Kohls Lüge kommt aus zwei Gründen zentrale Bedeutung zu: Erstens, weil er nur mit ihrer Hilfe die für die Annahme des Vereinigungsgesetzes erforderliche Zweidrittel-Mehrheit des Bundestages erlangen konnte. Ohne sie hätten wohl weder die Abgeordneten der Union noch die der FDP den Bruch der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes hingenommen. Zweitens, weil diese Behauptung dem Bundesverfassungsgericht als tragender Grund dafür diente, die Beibehaltung der Enteignungen als rechtens zu akzeptieren. Dass diese Argumentation nur formaler Natur war und zur Kaschierung der offensichtlich allen Fraktions- und Parteiführungen gemeinsamen Einstellung diente, die Enteignung solle nicht rückgängig gemacht werden, das gab auch der damals oberste Richter der Bundesrepublik, Roland Herzog, zu erkennen. In seinem Beitrag “Das Bodenreform-Urteil und das Bundesverfassungsgericht”; veröffentlicht in dem 1997 erschienenen Sammelband von Bruno J.Sobotka “Wiedergutmachungsverbot?”, gibt Herzog seine Vorbehalte gegen eine Rückgabe deutlich zu erkennen: “Ist es gerecht, einen kleinen Teil der Unrechtsopfer voll zu entschädigen, wenn man weiß, dass es bei allen anderen nicht mehr möglich ist, fragt Herzog bevor er einige Absätze später deutlich macht, dass ihn die Frage, ob die Bundesregierung mit ihrer Behauptung des “sine qua non” dem Gericht “etwas vorgemacht” habe, nicht interessiert: “…das (mag) die historische Forschung weiter untersuchen”, lautet sein Kommentar. Damit enttäuschte er die Erwartung, die Wahrheit zu finden, sei Aufgabe der Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht habe “die Einschätzung der Regierung zu außenpolitischen, insbesondere verhandlungstaktischen Situationen…nicht zu überprüfen,” rechtfertigte Herzog sein Verhalten.
All das spricht dafür, dass Kohl nicht nur in seinem Innenminister, sondern ebenso in allen Parteien, die der Opposition eingeschlossen, sowie beim Bundesverfassungsgericht willige Helfer bei seinem Bemühen fand, die verbrecherische “Boden- und Industriereform” in der Form bundesdeutscher Gesetze dauerhaften Bestand zu sichern.
Die Motive: Verkauf der geraubten Güter
Wenn aber die von Kohl gegebene Begründung frei erfunden ist, welche Motive veranlassten den damaligen Bundeskanzler tatsächlich, das Parlament zu belügen, gegen das Grundgesetz zu verstoßen, möglicherweise auch auf Richter des Bundesverfassungsgerichts Einfluss zu nehmen? Dazu gibt es manche Vermutung, die plausibel klingt. Am verbreitetsten ist die, der Kanzler habe gehofft, durch den Verkauf der geraubten Güter genügend Mittel zu erhalten, um die Kosten der Wiedervereinigung ohne Steuererhöhung finanzieren zu können. Die nämlich hätte seine Wahlchancen mindern können. Ob dies zutrifft, bleibt bis auf weiteres ungewiss, denn alle Beteiligten schweigen dazu. Nicht einmal der Vorwurf, sie seien Hehler und Rechtsbrecher veranlasst sie zu gerichtlichen Schritten. Offenkundig haben sie triftige Gründe, Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Dieses unsägliche Verhalten aller Verfassungsorgane: Exekutive, Legislative und Judikative haben nicht nur dem Ansehen der unmittelbar Beteiligten in der Öffentlichkeit geschadet. Sie haben die Kanzlerpartei CDU einem erheblichen Teil ihrer treuesten Wähler entfremdet. Sie sehen sich getäuscht, verraten und von denen im Stich gelassen, die sich ihnen über Jahrzehnte als Garanten des Rechtsstaats präsentiert hatten. Hierdurch und durch die Schwarzgeldaffäre des Jahres 1999, ist das Vertrauen in den Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie in Deutschland erheblich beschädigt worden. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar.