WiROZ

Schwarzbuch

Abrechnung mit Ostalgie / Bild vom 22-11-2009 / M. Sauerbier und K. Teske


Brandenburgs Ex-Innenminister Jörg Schönbohm rechnet mit der Ostalgie ab

Wütend auf die rot-roten Nachfolger: Brandenburgs Ex-Innenminister Jörg Schönbohm

Ex-Minister Jörg Schönbohm (72, CDU) war 10 Jahre in Brandenburgs Regierung Abrechnung mit der Ostalgie

21.11.2009 - 10:55 UHR
Von MICHAEL SAUERBIER und KNUT TESKE

BILD: Mit welchen Gefühlen scheiden Sie aus dem Amt?

Jörg Schönbohm: Mit Dankbarkeit für das Erreichte. Aber auch mit Enttäuschung und Verbitterung über das Kommende. Ich habe immer für Brandenburgs Zukunft gegen Rot-Rot gekämpft. Nun ist diese Koalition da.

BILD: Aber Ministerpräsident Platzeck wollte doch Rot-Rot ...

Schönbohm: Er sagt, neue Fragen benötigen eine neue Koalition. Aber mit alten SED-Kadern kann man keine neuen Fragen lösen. Koalitionen gehören zur Demokratie. Aber dass bei der Linkspartei 20 Jahre nach dem Mauerfall so getan wird, als handle es sich um eine ganz normale Partei, verbittert mich schon. Man stelle sich vor: Zwei frühere Stasi-IM haben den Koalitionsvertrag unterschrieben.

BILD: Warum schreckt die Nähe der Linken zum Unrechtsstaat DDR die Wähler nicht?

Schönbohm: In den Neuen Bundesländern herrscht noch viel Unkenntnis über das alte Unrechtsregime. Nur die Hälfte der Schüler weiß, dass die DDR eine Diktatur war. Und nur ein Drittel, wer die Mauer gebaut hat.

Das Thema SED-Diktatur hat die SPD aus dem Schulunterricht herausgehalten. Unter Rot-Rot wird das nicht besser werden. Viele Lehrer reden ohnehin ungern über die DDR. Oder verklären sie. Weil sie damals systemnah waren. Da verwundert es nicht, dass gut ein Viertel der Brandenburger die Linke gewählt hat.

Mehr zum Thema
Er machte Karriere bei der Bundeswehr

Jörg Schönbohm (CDU) wurde 1937 in Brandenburg geboren, kam mit der Familie 1945 nach Westdeutschland, diente sich in der Bundeswehr bis zum Generalleutnant und Heeresinspekteur hoch. Ab 1992 Staatsekretär im Verteidigungsministerium, 1996 bis 1998 Berliner Innensenator, von 1999 bis 2009 Innenminister in Brandenburg.

Er machte Karriere bei der Bundeswehr <br />Jörg Schönbohm (CDU) wurde 1937 in Brandenburg geboren, kam mit der Familie 1945 nach Westdeutschland, diente sich in der Bundeswehr bis zum Generalleutnant und Heeresinspekteur hoch. Ab 1992 Staatsekretär im Verteidigungsministerium, 1996 bis 1998 Berliner Innensenator, von 1999 bis 2009 Innenminister in Brandenburg.

BILD: Viele Leute sagen heute: Die DDR war doch gar nicht so schlecht ...

Schönbohm: Offenbar haben sie vergessen, dass die große Mehrheit der Bürger die DDR aus gutem Grund hinweggefegt hat. Denken wir nur an die Probleme der täglichen Versorgung, die staatliche Bevormundung, die Umweltprobleme, die um Jahre geringere Lebenserwartung ...

Wer sagt: „Es war gar nicht so schlecht“, hat das wohl alles vergessen. Man könnte höchstens sagen: Unser Leben haben wir unter den Bedingungen der DDR ganz anständig gestaltet.

BILD: Sie sind in Brandenburg geboren, kamen nach der Einheit voll Optimismus zurück. Welche Ihrer Hoffnungen wurden hier enttäuscht?

Schönbohm: Ich hatte vergessen, dass die DDR als einziges Ostblockland nur durch den Kommunismus bestand. Hier war die Indoktrination viel stärker als in Polen oder Ungarn. Deshalb ist es hier viel schwerer, heute klarzumachen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war und nur noch von der Substanz und von Westkrediten lebte.

BILD: War es ein Geburtsfehler Brandenburgs, dass der Stasi-belastete Manfred Stolpe hier erster Landesvater wurde?

Schönbohm: Stolpe wurde mehrheitlich gewählt. Aber er war stolz auf seine „kleine DDR“. Und er bestärkte gemeinsam mit Regine Hildebrandt das aus der DDR gewöhnte Gefühl staatlicher Umsorgung. Beide sagten: „Wir kümmern uns. Der Staat wird’s schon richten.“ So nahmen zu wenige ihr Schicksal in die eigenen Hände. Anders als in Sachsen und Thüringen. Erst als die CDU mitregierte, stieg die Selbstständigenquote.

BILD: Welche anderen Folgen von 40 Jahren DDR wirken bis heute nach?

Schönbohm: Es gibt eine verbreitete Stillosigkeit – im Umgang wie bei der Kleidung. Eine Folge der Entbürgerlichung der DDR. Millionen, eine ganze Gesellschaftsschicht, war aus dem Land geflüchtet. Sie fehlten nicht nur der Wirtschaft, sondern auch als Vorbilder.

Dazu kommen die Folgen der Entchristlichung des Ostens. Nur jeder Fünfte ist Mitglied einer Kirche. Pfarrer finden kaum Konfirmanden. Doch die Jugendweihen sind gut besucht.

Vielen Menschen fehlt ein geistlicher Halt. Man sieht es, wenn etwa nach schrecklichen Verbrechen die Kirchen bei Gedenkgottesdiensten aus allen Nähten platzen. „Ich bin nicht christlich“, sagte mir da eine Frau, „aber wo soll ich denn sonst hin ...?“

Auch durch manche Behörden weht noch der Geist der DDR. Da fühlen sich Bürger dann wie Bittsteller vor der Obrigkeit. Der Dienstleistungsgedanke hat sich leider noch nicht in allen Amtsstuben durchgesetzt.