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Schwarzbuch

Die fehlende Hauptverhandlung im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren – von RA Dr. Wasmuth


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Zusammenfassung des Aufsatzes von Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth, München,

von Frau Herrlein- Ramdohr

in ZOV 4/2009

Ein schwerer rechtsstaatlicher "Webfehler" des Gesetzgebers

In seinem detaillierten Aufsatz macht Dr. Wasmuth die grundsätzliche Schriftlichkeit in den Gerichtsverfahren nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz mit dafür verantwortlich, daß die strafrechtlichen Rehabilitierungskammern in einer Vielzahl strafrechtlicher Rehabilitierungsverfahren tatsächlich wie rechtlich unzutreffende Entscheidungen fällen und dabei kommunistisches Unrecht in SBZ und DDR nicht nur verharmlosen, sondern auch perpetuieren.

Wesentliche Schwachpunkte des schriftlichen Verfahrens sieht Dr. Wasmuth speziell für das strafrechtliche Rehabilitierungsverfahren aufgrund folgender Zusammenhänge:

  • Das Strafrecht in SBZ und DDR trägt deutliche Züge des Unrechtsstaates und ist mit dem bundesdeutschen Strafrecht nicht vergleichbar.

  • Mit dem Strafrecht in SBZ und DDR sind wesentlich andere Zwecke verfolgt worden als mit dem Rechtsgüterschutz des rechtsstaatlich ausgerichteten Strafrechts.

  • Praxis und Unrechtsgehalt des Strafrechts in SBZ und DDR lassen sich allein mit den geschriebenen Rechtsnormen nicht zutreffend erfassen. Sie ergeben sich häufig auch aus unveröffentlichten Anweisungen oder Richtlinien und lassen sich immer wieder nur aus der Zusammenschau von Regelungen nachvollziehen, die dem bundesdeutschen Rechtsverständnis fremd sind. Oft muß gar allein auf eine Rechtspraxis in SBZ und DDR abgestellt werden.

  • Ein zutreffendes Bild des in SBZ und DDR geltenden und praktizierten repressiven Verfolgungsunrechts erfordert damit eine eingehende Ermittlung der maßgeblichen Rechtstatsachen.

  • Mit dem strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren sind zumeist Richter befaßt, welche die Besonderheiten des in SBZ und DDR nicht aus eigener Anschauung erfahren haben oder darin speziell ausgebildet sind. Dies gilt insbesondere für die Epoche in der SBZ.

In einem schriftlichen Verfahren lassen sich diese Aufgaben nach den Ausführungen von Dr. Wasmuth nicht optimal gestalten und führen deshalb in erheblichem Umfang zu offensichtlichen Fehlentscheidungen. Gründe dafür sieht Dr. Wasmuth aufgrund folgender Zusammenhänge:

  • In einem schriftlichen Verfahren ist der Richter nicht gehalten, das gesamte Beweismaterial in einer Hauptverhandlung aufzuarbeiten und mit den Beteiligten zu erörtern.

  • Die Beteiligten haben keine Möglichkeit, formelle Beweisanträge zu stellen.

  • Der Richter hat keine Möglichkeit, sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu machen.

  • Der Richter hat seine Entscheidung nur summarisch in einem Beschluß, nicht aber eingehend in einem Urteil mit ausführlicher Beweiswürdigung zu begründen. Dies ermöglicht es den strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichten in erheblichem Umfang, sich allein auf ebenfalls nicht auf sachgerecht ermittelte Entscheidungen zu beziehen und weitere Ermittlungen – häufig gar unter Mißachtung des Vortrags der Beteiligten - von vornherein zu unterlassen.

  • Das Verfahren findet vollständig unter Ausschluß der Öffentlichkeit und daher ohne jede öffentlich wirksame Kontrolle statt.

  • Nur die Durchführung einer Hauptverhandlung bietet die größtmögliche verfahrensrechtliche Gewähr, daß der Richter die notwendige Sorgfalt in die Ermittlung des Sachverhalts und die Beachtung des geltenden Rechts beachtet.

Diese Defizite werden nach Dr. Wasmuth auch nicht dadurch ausgeglichen, daß der Gesetzgeber nach Ermessen des Gerichts die Möglichkeit einer mündlichen Erörterung vorgesehen hat. Dr. Wasmuth legt zwar dar, daß die Gerichte in zahlreichen Fällen aufgrund einer sog. Ermessensreduzierung auf Null verpflichtet wären, jedenfalls eine mündliche Erörterung durchzuführen. Nach den Erfahrungen der Praxis kommen die Gerichte diesen Pflichten aber regelmäßig nicht nach. Dr. Wasmuth zitiert sogar ein Beispiel, daß ein Gericht aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls ausnahmsweise eine mündliche Erörterung anberaumt, dann aber aus erklärter Furcht vor der Öffentlichkeit diese wieder abgesetzt hat.

Dr. Wasmuth räumt zwar ein, daß bei mehr als der Hälfte der von den strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichten entschiedenen Fällen die Rehabilitierungsbedürftigkeit auf der Hand liegt und daß diese deshalb auch zutreffend entschieden werden. Bei den verbleibenden Verfahren sei dagegen die Anzahl der an offensichtlichen Rechtsmängeln leidenden strafrechtlichen Rehabilitierungsentscheidungen ungewöhnlich hoch. Gründe dafür sind die beschriebenen Schwierigkeiten bei der sachgerechten Erfassung und Beurteilung des Strafrechts in SBZ und DDR, die bei der Aufarbeitung der politisch motivierten Strafverfolgung unerläßlich sind. Strafrechtliche Rehabilitierungsgerichte stützen sich daher etwa allein auf die Tatsachenfeststellungen der Justiz in SBZ und DDR, ohne zu beachten, daß diese aus politischen Gründen oft willkürlich falsch war. Sie übersehen infolge unzureichender Ermittlungen maßgebliche Rechtstatsachen, aus denen sich aber der spezifische Strafcharakter oder die mit wesentlichen Grundsätzen des Rechtsstaats unvereinbare Verfolgung ergibt. In zahlreichen Fällen werden aber auch Vorschriften des geltenden strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes schlicht mißachtet.

Nach der Analyse von Dr. Wasmuth läßt sich diese Fehlerquote nur verringern, wenn der Gesetzgeber auch für das strafrechtliche Rehabilitierungsverfahren die verfahrensrechtlichen Standards einführt, die allgemein nach den geltenden Prozeßordnungen und im Besonderen nach Wiederaufnahme eines strafrechtlichen zugunsten eines Verurteilten erfolgten Verfahrens gültig sind.

Allein die Hauptverhandlung bietet die realistische Chance, daß Erkenntnislücken des Rehabilitierungsrichters geschlossen werden. Die mündliche Verhandlung zwingt ihn, sich mit sämtlichen Einzelheiten der zu rehabilitierenden Verfolgung in der SBZ bzw. der DDR einschließlich der maßgeblichen Rechtsgrundlagen und ihrer Handhabung in der Rechtspraxis des SED-Staates auseinanderzusetzen.

Eine öffentliche Verhandlung dient zudem dazu, das öffentliche Vertrauen in die Rechtsprechung zu festigen. Dies gilt insbesondere bei strafrechtlichen Rehabilitierungs-entscheidungen, nachdem in der SBZ und DDR meist unter Ausschluß der Öffentlichkeit, mitunter sogar unter Ausschluß einer Verteidigung, oder in Schauprozessen verhandelt wurde. Es ist daher von besonderer Wichtigkeit, daß das Verfahren nicht erneut ohne persönliche Beteiligung des Antragstellers stattfindet. Dies gelte erst recht, nachdem sich bereits über die Jahre hinweg eine Rechtsprechung herausgebildet hat, die mit der Verfolgungspraxis in SBZ und DDR nicht übereinstimmt und diese verharmlost und reihenweise zu unberechtigten Ablehnungen von Rehabilitierungsanträgen führt.

Eingehend belegt Dr. Wasmuth im übrigen, daß die Hauptverhandlung oder die mündliche Verhandlung vom Gesetzgeber bei maßgeblichen Entscheidungen das zentrale Element des gerichtlichen Verfahrens darstelle. Dies gilt gerade auch bei allen anderen der Aufarbeitung des Unrechts in SBZ und DDR dienenden Gerichtsverfahren. Auch der DDR-Gesetzgeber habe im Rehabilitierungsgesetz grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vorgesehen. Dies müsse im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren erst recht gelten, weil es der Aufarbeitung des tendenziell schwersten Unrechts, das sich in SBZ und DDR ereignet hat, dient. Deshalb könne in diesem Verfahren am wenigsten auf eine Hauptverhandlung verzichtet werden.

Das für das schriftliche Verfahren ins Feld geführte Argument der Verfahrensbeschleunigung läßt Dr. Wasmuth nicht gelten. Ihm komme bei einer Verfahrensdauer von häufig mehreren Jahren keine entscheidende Bedeutung zu. Nach den Erfahrungen der Praxis könne das Verfahren vielmehr dadurch beschleunigt werde, daß die Gerichte verpflichtet würden, den Antrag umgehend der Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme vorzulegen, und daß diese ihre Stellungnahme nur innerhalb einer Frist von drei Monaten abgeben könne, zumal die Darlegungen der Staatsanwaltschaften im Regelfall keine neuen Erkenntnisse zutage fördern.

Dem Interesse des Betroffenen, nicht erneut in einer Hauptverhandlung mit den Verfolgungstatsachen konfrontiert zu werden, könne ohne weiteres dadurch begegnet werden, daß er auf eine solche verzichten könne. Dagegen werde das schriftliche Verfahren nicht dem ebenso bestehenden Bedürfnis zahlreicher Betroffener gerecht, über das ihnen widerfahrene Unrecht zu berichten. Die Hauptverhandlung sei insofern auch ein wesentlicher Teil der Rehabilitierung selbst, die dem Betroffenen bislang regelmäßig verwehrt werde.

Nach diesen skandalösen Feststellungen schließt Dr. Wasmuth seinen Artikel mit folgender Ermahnung: „Die Bundesrepublik Deutschland hat als Rechtsstaat bereits bei der Aufarbeitung des NS-Unrechts in wesentlicher Hinsicht versagt. Die Erfahrung mit diversen Judikaten der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte läßt inzwischen ein vergleichbares Urteil für die Aufarbeitung des kommunistischen Unrechts in SBZ und DDR ebenfalls zu. Dem hat der Gesetzgeber umgehend dadurch entgegenzusteuern, daß er die für das Prozeßrecht allgemein anerkannten Standards auch im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren einführt.“

DHR

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