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Schwarzbuch

Brief von Dr. Johannes Wasmuth an Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz


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Frau Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz - persönlich -

Mohrenstraße

10117 B e r l i n

Verfolgung der SPD, aber nicht der Opfer von Boden- und Industriereform?

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Zypries,

in dieser Angelegenheit komme ich auf mein Schreiben vom 2. Dezember 2008 zurück und darf Sie nach Art. 17 GG bitten, mir die Stellungnahmen Ihres Ministeriums gegenüber dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages in den Petitionsverfahren des Herrn Wolfgang Haars und des Herrn Michael Pfeiffer zukommen zu lassen. Gleichzeitig lege ich vorsorglich

W i d e r s p r u c h

gegen den von Ihrer Mitarbeiterin erlassenen Ablehnungsbescheid zu dem Antrag, mir diese Unterlagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz zukommen zu lassen, ein. Diesen Widerspruch werde ich eingehend begründen, sollten mir die erbetenen Stellungnahmen nicht auf der Grundlage der jetzt eingereichten Petition zugehen.

Unter Berufung auf Art. 17 GG bitte ich Sie darüber hinaus um Auskunft zu folgenden Fragen:

  1. Erklären Sie mir bitte konkret, weshalb das Vermögen der SPD, das vom NS-Regime auf der Grundlage des Gesetzes über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. 7. 1933 (RGBl. I S. 479) eingezogen wurde, und das Vermögen der Gewerkschaften, das im Zuge der Gleichschaltung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeber in die DAF eingegliedert wurde, als verfolgungsbedingt eingezogen wird, während Ihr Ministerium bis heute gegenüber dem Parlament, dem Petitionsausschuß, betroffenen Behörden und den Gerichten unter Verschweigen der inzwischen weitgehend bekannten und insofern etwa in der allgemein zugänglichen Textsammlung „Schönfelder II“ veröffentlichten Rechtsgrundlage darlegt, die Maßnahmen der Boden- und Industriereform seien auch dann keine rehabilitierungsfähigen Maßnahmen, wenn die damaligen kommunistischen Machthaber damit entsprechend der Ideologie des kommunistischen Antifaschismus eine Entnazifizierung betrieben haben?

  2. Zur Erläuterung dieser Frage lege ich dar, daß sich der NS-Staat mit dem Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26.5.1933 (RGBl. I S. 293) und dementsprechend auch mit dem Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens darauf beschränkt hat, das betroffene Vermögen „zugunsten des Landes einzuziehen“, während die zur Entnazifizierung durchgeführte Boden- und Industriereform nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften in der SBZ jeweils auf einen konkreten, individuellen Schuldvorwurf gestützt waren, einen Straftatbestand als Naziverbrecher, aktivistischer Nazi oder Kriegsinteressent begangen zu haben (vgl. Ausführungsbestimmungen zu den Bodenreformverordnungen sowie Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid bzw. - Ostberlin - unmittelbar die KRD Nr. 38 sowie Protokolle der Landesbodenreformkommissionen bzw. der Landes- oder Präsidialkommissionen), der dann nicht nur die Einziehung des Betriebsvermögens und praktisch des gesamten Privatvermögens, sondern die Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts, den Ausschluß von der Gewerbe- und Berufsfreiheit (mit Ausnahme niederer körperlicher Arbeiten), einen öffentlichen Tadel, eine Registrierung als Nazi- und Kriegsverbrecher und die Einleitung eines Internierungsverfahrens durch sowjetische Organe zur Folge hatte. Zur weiteren Erläuterung erwähne ich außerdem noch, daß das Vermögen der SPD und der Gewerkschaften etwa nach Maßgabe des SMAD-Befehls Nr. 126 besatzungshoheitlich enteignet wurde und daher ebenso wie die Vermögenswerte der Boden- und Industriereformopfer besatzungshoheitlich geschädigt wurden. Daher kommt eine Rückgabe dieser Vermögenswerte nur in Betracht, weil verfolgungsbedingte Schädigungen von § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. VermG nicht erfaßt werden (vgl. § 1 VIII lit. a, 1. Halbs. i.V.m. VI VermG). Dies gilt für Maßnahmen der Boden- und Industriereform aber gleichermaßen, weil sie erst recht Verfolgungsakte darstellten (vgl. § 1 VIII lit. a, 1. Halbs.i.V.m. VII VermG).

  3. Daran schließt sich sogleich die weitere Frage an: Weshalb erwähnt Ihr Ministerium in offiziellen Stellungnahmen bis heute nur die bloße Vermögensentziehung und die allein diese Rechtsfolgen aussprechenden Rechtsgrundlagen der sog. Boden- und Industriereform, verschweigt aber, daß diese Rechtsgrundlagen in jedem Einzelfall auf einen hoheitlich erhobenen Schuldvorwurf gestützt war, der dann noch diverse andere einschneidende Rechtsfolgen nach sich zog?

  4. Wiederum zur Erläuterung darf ich darauf hinweisen, daß ich zur Beantwortung der Frage zu 3 nicht die Antwort akzeptieren werde, die Darstellung Ihres Ministeriums entspreche den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts im sog. Bodenreform-Urteil (BVerfGE 84, 90ff.). Diese Sachverhaltsdarstellung beruht - wie das Bundesverfassungsgericht selbst darlegt - nicht auf eigenen Ermittlungen des Gerichts, sondern ausschließlich auf Angaben der Bundesregierung.

  5. Daran schließt sich sogleich eine weitere Frage an: Weshalb beruft sich Ihr Ministerium auf die Sachverhaltsdarstellung des Bundesverfassungsgerichts, obgleich dort bekannt ist, daß die Ermittlung des Verfolgungszusammenhangs in der SBZ nicht Aufgabe dieses Gerichts war und daß die Darstellung ausschließlich auf - nachweislich falschen - Angaben der Bundesregierung beruht? Und weshalb verschweigt Ihr Ministerium dem Petitionsausschuß, daß das Bundesverfassungsgericht im sog. Bodenreform II-Beschluß (BVerfGE 94, 12ff.) ausdrücklich dargelegt hat, die Feststellung der Verfolgungszusammenhänge von Boden- und Industriereform sei Aufgabe der Fachgerichte, was zugleich bedingt, daß die Darstellung im Bodenreformurteil nicht den Rechtstatsachen des geschehenen Unrechts entsprechen muß. Und da auch die Fachgerichte bis heute keine weitergehende Sachaufklärung vorgenommen haben, ist davon auszugehen, daß die meisten Entscheidungen zu den Komplexen der Boden- und Industriereform schon deshalb im Rechtsstaat nicht vertretbar sind, weil sie von einem falschen Sachverhalt ausgehen.

Meinen Fragen und Anmerkungen können Sie entnehmen, daß ich bis auf weiteres davon ausgehen muß, daß Ihr Haus den Petitionsausschuß in den oben genannten Verfahren nachweislich falsch unterrichtet hat. Dies halte ich für einen ungeheuerlichen Vorgang, weil diese Stellungnahmen Fälle schwersten kommunistischen Unrechts betreffen, die bislang offenbar systematisch verharmlost werden. Insofern darf ich um umgehende, umfassende Aufklärung der hier aufgeworfenen Fragen bitten. Dabei können Sie unterstellen, daß mir die Vorgänge der Boden- und Industriereform inzwischen recht genau bekannt sind, so daß ausweichende Antworten in der Sache nicht weiterhelfen.

Die Veröffentlichung oder Verwertung Ihrer Antwort in Publikationen behalte ich mir vor. Dieses Schreiben sende ich auch an einzelne Opferverbände zur Kenntnisnahme und weiteren Verwendung.

Für Ihre Bemühungen danke ich Ihnen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

(Rechtsanwalt)