WiROZ

Schwarzbuch

Bodenreform: Still ruht der See; Finanzminister Speer bestreitet gravierende Versäumnisse des Landes bei der Erbensuche


| | |

POTSDAM - Zufall oder nicht? Nur wenige Tage, bevor der Untersuchungsausschuss des Landtags zwei „Kronzeugen“ befragen will, platzierte Finanzminister Rainer Speer (SPD) gestern seine „Zwischenbilanz“. Die Bodenreform-Affäre, die Brandenburg bundesweit in ein negatives Licht rückte, ist jetzt ein halbes Jahr alt – Zeit für den zuständigen Minister, einiges Grundsätzliches zu sagen. Eine der 20 Power-Point-Seiten, die Speer gestern präsentierte, widmete sich dem Untersuchungsausschuss. Tenor: Das Finanzministerium habe alle Anforderungen, vor allem nach Akten, erfüllt; die Kritik am Aufklärungswillen sei nicht berechtigt. Doch weit mehr als diese Einlassung dürfte den Ausschuss, der in der kommenden Woche Ex-Finanzministerin Wilma Simon und Finanz-Abteilungsleiter Helmut Bae-secke befragen will, Speers Bilanz interessieren. Es gebe bisher keine Hinweise, dass Brandenburg bis zum Auslaufen der Verjährungsfrist am 2. Oktober 2000 nicht vernünftig nach Erben von Bodenreformland geforscht habe, sagte Speer. „Es ist flächendeckend gesucht worden.“ Außer Thüringen seien die anderen ostdeutschen Länder auf eine ähnliche Weise vorgegangen. Brandenburg habe – trotz aller gegenteiligen Behauptungen – „keinen Sonderweg“ in Ostdeutschland beschritten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte im Dezember 2007 den Umgang des Landes mit Bodenreformland für „sittenwidrig“ erklärt. Das Land hatte sich in rund 10 000 Fällen anstelle unbekannter Erben als Eigentümer von Bodenreformland ins Grundbuch eintragen lassen. Insgesamt gab es 82 000 Bodenreform-Fälle. In Sachsen waren es 85 500, in Mecklenburg-Vorpommern 50 000 und in Sachsen-Anhalt 92 600. Allerdings ließ sich Brandenburg mit Abstand am häufigsten als Erbenvertreter in Grundbücher eintragen: rund 6600 Mal (Mecklenburg-Vorpommern: 2800). Allerdings sind die Zahlen nicht ganz vollständig, weil die Länder teilweise keine Angaben gemacht hätten, so Speer. In Brandenburg wurde das Land zum gesetzlichen Vertreter bestellt, in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt waren es ausschließlich Dritte wie Kommunen, Privatpersonen oder Rechtsanwälte. Nur Thüringen stellte laut Speer keine umfassenden Recherchen an. Zwar hätten andere Länder auf der Suche nach Erben teilweise mehr Instanzen angesprochen, deshalb aber nicht bessere oder gravierend andere Ergebnisse erzielt. Speer sagte, in den anderen Ländern würde in Sachen Bodenreformland „gar nichts“ passieren. „Still ruht der See.“ Er teilte weiter mit, dass seit Bekanntwerden des Urteils 15 Grundstücke berechtigten Erben zurückgegeben wurden. In 113 Fällen bestehe Aussicht auf Rückgabe. 458 Anfragen hätten nichts mit dem Urteil zu tun gehabt. Widerspruch zu den Speer-Äußerungen äußerte gestern die Linke. Indem sich das Land zum gesetzlichen Vertreter unbekannter Erben bestellen ließ und anschließend die Grundbuchübertragung an sich selbst beantragte, sei es sehr wohl einen Sonderweg gegangen, meinte Ausschussmitglied Christian Görke. (Von Igor Göldner)  Bodenreform Die Bodenreform von 1945 stand am Anfang der Neuordnung der Eigentumsverhältnisse nach dem 2. Weltkrieg in Ostdeutschland. Unter der Losung „Junkerland in Bauernhand" wurde in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) - der späteren DDR - Großgrundbesitz über 100 Hektar enteignet. Dazu kam Grund und Boden von Nazi-Kriegsverbrechern. Insgesamt war ein Drittel der Wirtschaftsfläche östlich der Elbe betroffen. 7000 Großagrarier verloren durch die Bodenreform entschädigungslos 2,5 Millionen Hektar. Zusammen mit 600000 Hektar Land, das bereits die Nationalsozialisten konfisziert hatten, wurden 3,1 Millionen Hektar Land an 500000 Landarbeiter, landlose oder landarme Bauern, Umsiedler, Arbeiter und Handwerker verteilt. In Brandenburg wurde der Besitz von 2327 Betrieben, davon 1768 Großgrundbesitzern mit 770200 Hektar an 110000 Empfänger aufgeteilt. Viele „Neubauern" erhielten jedoch nur kleine Parzellen, auf denen sie nicht wirtschaftlich arbeiten konnten. Dies führte zum zwangsweisen Zusammenschluss in den „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" (LPG). MAZ/dpa