Bodenreformland wieder zurück in Erbenhand

Recht haben, heißt noch nicht, Recht zu bekommen. Die Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE) informierte Bodenreform-Enteignete darüber, wie es weiter geht nach dem Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der die Enteignung von Bodenreform-Grundstücken für Unrecht erklärt hatte. ARE-Prozeßbevollmächtigter in Straßburg war Rechtsanwalt Dr. Thorsten Purps aus Potsdam.

von Kathrain Graubaum

Frau Wagner* aus einem Dörfchen im Landkreis Schönebeck hält ihre Urkunde hoch. Das vergilbte Zertifikat, künstlerisch gestaltet mit schnörkeliger Schrift, soll die Worte von Rechtsanwalt Thorsten Purps bekräftigen. Mit grüner Tinte steht hier hervorgehoben, daß das Bodenreformland "persönliches, vererbbares Eigentum" ist.
Verschiedene Bündnisse setzen sich ein für das Recht von Bodenreform-Enteigneten wie auch für das Recht der enteigneten Alteigentümer, will Manfred Graf von Schwerin betont wissen. Er ist der Bundesvorsitzende von ARE, eines Zusammenschlusses von Opfern und Geschädigten. Unrecht sei beiden Parteien geschehen, sagt er und daß der Staat am wenigsten Anspruch habe auf den Grund und Boden.
Frau Wagner besaß lange Zeit nicht mehr, als den ideellen Wert dieses Stück Papiers, das sie von ihren Eltern geerbt hat. 1950 schon ordnete die junge DDR neu, wie zu verfahren sei, wenn ein Neusiedler stirbt. Nach dem 1959 erlassenen LPG-Gesetz war Bodenreformland, das Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) übergeben wurde, als staatliches Eigentum zu registrieren. Die LPG'en ließen nebenher private Hofwirtschaften mit jeweils einem halben Hektar Land zu.
Eine Besitzwechselverordnung bemächtigte die Räte der Kreise ab 1975, Land zu entziehen und erneut zu übertragen. Besitzer von Bodenreformland konnten nicht frei darüber verfügen. 1990 waren nur noch 25 Prozent des Bodenreformlandes Eigentum von Neubauern oder deren Nachkommen.
Wurde besagter Boden nicht mehr landwirtschaftlich bewirtschaftet, sollte er in einen Bodenfonds übergehen, was aber nicht konsequent durchgesetzt wurde. 75 Prozent der Bodenreformflächen waren bis 1990 in den staatlichen Fonds zurückgegeben worden.

Vertrauen in die Justiz ging verloren

Daß dieser aufgelöst und die Besitzwechselverordnung aufgehoben werde, beschloß 1990 die Modrow-Regierung. Schließlich sollten auch auf dem Lande die Voraussetzungen für marktwirtschaftliche Strukturen geschaffen werden. Grundstücke wurden nun in vielen Fällen den Kindern, beziehungsweise Enkeln überschrieben, um Kredite oder Fördermittel zum Ausbau der Wohnungen zu bekommen.
Frau Wagner und ihr Mann sind nicht nur mit der Bodenreform-Urkunde zur Informationsveranstaltung nach Aken gereist. Gleich etlichen "Leidensgenossen" aus dem anhaltischen Raum haben sie Aktenordner dabei, darin behördlichen Schriftverkehr aus der Zeit um 1992 zusammengeklammert. Damals hatten die zuständigen Ämter in den neuen Bundesländern die Aufgabe, Neusiedlererben aufzuspüren, die auf ihrem Grund und Boden keine Landwirtschaft mehr betrieben.
In Sachsen-Anhalt wurden die Ämter für Landwirtschaft und Flurneuordnung (ALF) angewiesen, entschädigungslose Verzichtserklärungen einzuholen. Wer sein Land verkauft hatte, was ab 1990 möglich war, sollte den Verkaufserlös abführen.
Frau Wagner ist im Besitz solcher Briefe. Sie wurden auf der Grundlage des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes von 1992 geschrieben. Das Gesetz sah vor, daß nur die Personen Bodenreform-Grundstücke erben können, die bis zum Stichtag 15. März 1990 oder in den letzten zehn Jahren davor eine Tätigkeit in Land- oder Forstwirtschaft oder in der Lebensmittelindustrie ausübten.
Rechtsanwalt Thorsten Purps kann sich nur wundern über seine Kollegen beim Bundesgerichtshof, die der irrigen Annahme waren, Bodenreformeigentum sei nicht vererbbar gewesen. ,,Erst 1998, nach über sechs Jahren" - die Verwunderung des Anwaltes kennt keine Grenzen - ,,entschied der Bundesgesetzgeber, daß Bodenreformeigentum doch vererbbar war." Wieder hält Frau Wagner ihre Urkunde hoch. Darauf steht es grün auf gelbem Grund - für jedermann, der lesen kann.
Um sich aus der peinlichen Angelegenheit herauszuwinden, rekapituliert der junge Anwalt Purps. ersann der Bundesgerichtshof als Begründung, fälschlicherweise davon ausgegangen zu sein, daß noch nicht abgewickelte Fälle zur Rückführung in den staatlichen Bodenfonds von der DDR vergessen worden seien.
Damals, weiß der Rechtsanwalt, ging vielen Betroffenen das Vertrauen in die deutsche Justiz verloren.
Aber doch nicht allen. Drei Betroffen klagten gegen die ,,schwarze Enteignung" vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Und erhielten am 22. Januar dieses Jahres Recht. Das allerdings, sagt Rechtsanwalt Purps, gelte nicht nur für diese drei, sondern auch für alle anderen, die ab 1992 zur entschädigungslosen Herausgabe ihres Eigentums genötigt wurden.
Mit ihren schriftlichen Unterlagen haben Frau Wagner und die anderen Betroffenen auch Hoffnungen in die Informationsveranstaltung mitgebracht. Der Anwalt bestärkt sie darin, jeder einzelne Bodenreform-Enteignete müsse selber aktiv werden. Von denen gibt es in Sachsen-Anhalt etwa 18 200 - ein Ansturm auf juristischen Beistand ist zu erwarten. Doch Thorsten Purps kann beruhigen. Entgegen fälschlicher Meldungen gäbe es keine Frist für die Einreichung einer Klage auf Rückführung des Eigentums.

Rückgabe vor Geldentschädigung

Die Bundesregierung hatte angekündigt, eine erneute Verhandlung vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes zu versuchen. Bisher, so Anwalt Purps, sei kein Antrag in Straßburg eingegangen. Kommt es dazu, würden Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum und der Bund der Neusiedler-Erben geeignete Maßnahmen einleiten.
Zum Beispiel bereiten Anwälte das Muster für eine Individualbeschwerde vor. Denn die Bestimmungen der Menschenrechtskommission sagen klar, daß der Bürger eine Beschwerdemöglichkeit haben muß. Der Bundesgerichtshof stellt diese Schriften dem Justizministerium zu. Die Regierung solle dadurch enorm unter Druck geraten, ist das Ziel der Bündnisse.
Frau Wagner schiebt ihre Unterlagen in den Ordner zurück. Und nimmt mit der Hoffnung auf Entschädigung die Anmerkung des Anwalts mit nach Hause, daß Entschädigung zuallererst Rückgabe des enteigneten Landes vor Geldentschädigung heißt.
(* Name von der Redaktion geändert)

nach oben